Löcher in die Pandemie fahren – erste Vorübung für den großen Rheingold 600

10. April 2021  – Diggin‘ in

Noch gibt es keine größeren Restriktionen, noch ist die Ausgangssperre nicht spruchreif. Der Winter streicht wieder  feuchtkalt die Hügel ab. Auch wenn es erste, zarte Blütenzeichen gibt , trage ich volle Winterkluft.

Unterwegs zum Startort Koblenz. Von dort will ich am Deutschen Eck den Superbrevet  über viele tausend Höhenmeter angehen. – aber erst im Mai.  Dies ist eine Erkundungsfahrt für den Rheingold 600, eine große Tour um die gesamten Mittelgebirge rund um Rhein und Mosel.

Zuerst über den Westerwald an den Rhein. Ich sehe den Strom und den dicken Willi nur ganz kurz, diesig, allein die rote Lok setzt eine Marke. Der kurze prolog von 50 Kilometern endet an einer Access- Tanke der B9. Es riecht streng nach Glutamaten, doch es ist warm.

Jetzt decke ich mich mit Vorräten ein, trinke einen kleinen cappuccino, während auf einem Bildschirm die Beisetzung des Prinzgemahls Philip Mountbatten vorüberleuchtet. Junge KommentatorInnen setzen ein schlecht  geprobtes Mitfühlgesicht auf. Er hätte ganz sicher einen seiner berüchtigten Witze gemacht –  den hätten sie sich verdient. Dieser alte weiße Rassist.

Ich setze auf drei Kettenblätter und mein Krautscheid, um in die feuchten Wälder um die Limesregion einzudringen.  30×26 ist mein letztes Wort.

Gleich nach den letzten Weinlagen geht es aufwärts, seitlich und gewunden folgt man der Bundesstraße,  die Koblenz mit den ostrheinischen Provinzen verbindet. Von hier aus sind es recht genau 110Kilometer bis auf den großen Feldberg, der Wendemarke. Dabei folgt der Weg nicht den Tälern, sondern entwickelt sich halbschräg in immer höheren Wellen nach Südosten durch eine Region, die vom rheinischen Westerwald in den Hintertaunus übergeht.

Es ist ein Parcours von Höhenkamm zu Höhenkamm. mal 100 höhenmeter, mal 150. Ein schwacher, aber spürbarer südlicher Wind bläst von vorne rechts und drückt immer neue graue Streifen vorbei. Ich spähe nach einem hellen Loch über mir, das nicht kommen will.

Einzelne Wanderer, sehr wenige Räder, ein stiller Samstag im Vorfrühling. Noch stehen die Motorräder geputzt in Garagen, überlassen mir die kleinen Straßen. Gleich nach der technischen Abfahrt ins Arzbachtal, die ich aus einem weit entfernten Sommer kenne, geht es wieder hinauf, vorbei am markanten Limesturm von Hillscheid, ein getreues Nachbild. Mit Legionären kann man auch Mitleid empfinden. Der Anstieg ist schön, gewunden und einsam.

Noch heute  ist der breite Rücken des Höhenzugs ein wildes Waldstück, das sich auf einem dutzend Kilometer siedlungsfern dahinzieht, bevor es hinter dem Dörfchen Winden rasant ins Lahntal abgeht, der nächste große Kerbe im Parcours.  Auch hier ist es gut, die knifflige Abfahrt zu kennen. Findet man Zeit,  den Kopf zu heben,  ist der Blick auf Weinähr atemberaubend schön, vor allem im Sommer. Kein Bild, die Hand bleibt am Lenker.

Als nächstes geht es auf die windige Ackerhochfläche, die Katzenelnbogener Land heißt. Ein Wegweiser aus dem Lahntal spricht von Gutenacker –  im Juni wachsen hier wunderbare Erdbeeren. Dann Katzenelnbogen streifen,  eine Möglichkeit zur Versorgung, es gibt noch bunte, hartgekochte Ostereier. Lächerlich günstig im Vergleich zu den wertlosen Aufbacksemmeln.

Katzenelnbogen wird nur gestreift, tschüss Netto und Dank für die Knallerangebote.

An einem alten Steinbruch vorbei hinüber ins Aartal, der Taunus ist „gleich“ erreicht. Nach dem Zollhaus drunten folgt ein sanfter, gemächlicher Aufstieg  bis zur Hühnerstraße, die große alte Chaussee zwischen Limburg und Wiesbaden. Die Höhenmeter summieren sich.

Es bläst weiter unangenehm,  die siebzig Kilometer haben Kraft gekostet , ich begrabe alle Hoffnung auf einen Sonnenstrahl. Das winzige Kettenblatt mit seinen 30 Zähnen macht jetzt Freude, so einige Wellen warten noch bis zum Feldberg. Auf die Idsteiner Senke folgt die Abfahrt nach Esch im goldenen Grund  und da blüht schon ein Obstbaum. Ich zehre an meinen Vorräten, denn ich weiß, so bald wird sich nichts finden – bis zum Gipfel (25km) liegt kein offenes Geschäft am Weg, von einer Tankstelle ist nur zu träumen.  Banane und Erdnüsse werden bergab rollend mit Mineralwasser heruntergespült. In wenigen Minuten beginnen die ernsthaften Auseinandersetzungen mit dem Berg der Tour. Etwa 500 Höhenmeter  geht es zum Gipfel hinauf – zum vierten mal in diesem Jahr, wenn ich richtig gezählt habe.

Kurze Rast an einem Felsen , der auch zum Klettern genutzt wird, ein Findling als Kostprobe des ganzen  Massiv ausmacht.  Dig  this? Ich drücke eine dieser kleinen flachen Plastiktüren mit Zitronengeschmack aus. Weiter. Den ersten Sattel nehmen, hinunter nach Oberreifenberg und dann wieder aufwärts. Sehr zäh.

Ich folge einer Eingebung meines Navigationsinstruments, um im Wald eine Abkürzung zu finden, es ist eine Katastrophe: auch die Fußwege wurden vom Waldbesitzer mit Baumstämmen barrikadiert. Mitten in den Wolken und höre ich zweimal einen eigenartigen Ruf . Ein Mensch war es nicht,  vielleicht habe ich mich verhört. Weiterschieben auf der Suche nach der Straße. Rechts von mir eine Lichtung: dort huschen die zwei Rufenden vorbei. Blauschwarz glänzt ihr Gefieder und ein höhnisches Krächzen im Vorbeifliegen streift den einsamen Pilger. Unglücksraben?

Aber der Berg ist mein, gleich wird das Beweisbild gemacht – ist mir so kalt oder ist es der Wind . . .  Schnell die Regenjacke über und die einsame Abfahrt beginnen.

Der Berg (und der Weg dorthin) läßt mich mit mehr Fragen als Antworten zurück. Wie diese ersten hundert Kilometer richtig angehen? Kräfte anders einteilen, Tempo bergauf mäßigen? –  da bleiben die meisten Körner für den geringsten zeitgewinn liegen. Und die Versorgungspunkte besser einteilen. Brevets sind auch taktische Übungen, man geht sich leicht selbst in die Falle…

Im Tal nutze ich noch einen Resthauch der südlichen Windströmung, die mich über die Bundesstraße heim treibt .Wie anders diese Felsen wirken, wie freundlich und dekorativ. Die Kilometer fliegen doppelt so schnell vorbei. Kalorien kommen an, es wird locker reichen.Die Tankstellen lachen bunt, ich brauche euch heute nicht mehr. Jetzt überquere ich sie heute zum letzten male, die friedliche Lahn.

Dieser Beitrag wurde unter Spleen & Ideal abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s