Prolog
Teil drei der Vorbereitung auf die Superrandonnée Rheingold. Zwei Teile über 300 sind gelaufen; Keine Verletztungen, keine Erkältungen, keine Beschwerden danach. Gut, so bis Anfang Mai gekommen zu sein. Im Winter, (also unter 5 Grad) sind solche Distanzen einfach nicht in Reichweite. Die 300 an den Rhein und zurück haben noch etwas gezeigt: die Erholung dauert zwei, eher drei Tage. Doch es geht, es geht, es kann noch ein gutes Jahr werden auf dem Rad.
Der Rheingold-Brevet ist für Himmelfahrt angesetzt, Vatertag, am 13. Mai. Im Countdown der letzten zehn Tage bleibt noch ein Wochenende, um etwas für die Form zu tun. Nochmal feilen. Das Rad ist gefunden, die Ausrüstung auch. Die Meilen sind gemacht, gehen wir davon aus, daß es genug waren. Jetzt also zur Abwechslung einen kleinen Radius, vielleicht noch ein wenig für die 10.000 Höhenmeter tun.
Als ich die Woche zuvor am ersten Mai den Feldberg hinauffuhr, traf ich einige Radfahrer im Aufstieg. Junge Männer, die vom Feldbergkönig sprachen. 200 Kilometer später im Lahntal, bei schwindender Energie und abnehmender Sonne, ging mir der Gedanke durch den Kopf.
Der Feldbergkönig ist leicht angeklickt. Die Idsteiner Kettenhunde, ein Radsportverein, hat diese Challenge virtuell ausgeschrieben. 5 mal auf den Feldberg in 24h. In Summe- 5000 Höhenmeter auf etwas über 100 Kilometern. Also mittlere Distanz, aber immer von neuem länger aufwärts. Das passt mir, wenn das Wetter passt. Was erhoffe ich mir?
In den Anstiegen will ich die definitiv richtigen Übersetzungen finden, vielleicht noch die aerobe Schwelle nach oben verschieben. Weder Vmax noch Wmax. Ziel ist, für die lange Distanz das ganze System noch etwas zu heben. Besser arbeitende Muskulatur, mehr arbeitende Zellen, die besser den Sauerstoff binden, besserer Stoffwechsel – dadurch weniger Energie pro Höhenmeter. Nicht wieder auf dem Weg zur Lauschhütte letzte Reserven mobilisieren müssen . . .
Mehr an sich arbeiten, um es später leichter zu haben.
Erstes Kapitel
- Mai. Den historischen Tag beginne ich nach dem Aufwärmen mit einer Fahrt Eschhofen- Niedernhausen ; jede Menge Platz im Vorortzug. Schwätzchen mit dem Schaffner verkürzen den Dienst. 10h in Niedernhausen. Genau hier startet einer der Anstiege zum Feldberg, danach wird es kreuz und quer über das Bergmassiv gehen. Mein Ziel: immer mit Luft aerob hinauf, gleichmäßig und stetig. Nur den Anstieg von Esch aus spare ich mir. Der ist ein guter Bekannter – schon Donnerstag sehen wir uns wieder.
Also heute nicht nach der Krone greifen, nur den kleinen Prinz des Feldbergs…
Den längsten und schwierigsten Anstieg des Tages gleich zu Beginn. Niedernhausen, Josbach, Ehlhausen. Wieder haben Blätter und Blüten zugelegt, das Gras wird immer grüner. Die Passagen vor dem roten Kreuz versuche ich auf dem 42 er. Es geht, ist aber vielleicht nicht klug. Lieber Körnchen sparen.
Entdecke jetzt das Wort „Endspurt“ am allerletzten Anstieg. . . die Kettenhunde. Der Fahrzeugpark ist voll, Räder werden ausgepackt. Es herrscht Aufbruchsstimmung, die Klappen der großen Wagen weit offen.
Oben hat ein strammer Kollege schon vorgezogen, er macht nicht einmal ein Zielfoto, er braucht es nicht, ganz gleichmäßig durchgefahren. Gegen 11h ist hier nicht sonderlich viel los.
Zweites Kapitel
Auf der sanften breiten Fahrbahn nach Oberursel hinunter kommen sie mir dann paarweise wie an der Perlenschnur entgegen. Weiter abwärts, weiter in (mehr oder weniger) gequälte Gesichter blicken. Gleich nach dem Ortsschild kommt eine Brücke und ein Kreisverkehr und auf dem Boden eine Wendemarke. Die Kettenhunde grüßen und auf gehts.
Ich verstehe bald, warum auf dieser Autobahn so viele Radsportler unterwegs sind : es ist die leichteste Möglichkeit, ich drehe an meiner Kurbel wie eine kleine Nähmaschine. Nicht hochschalten -so bleiben; Manche die ich eben hinauffahren sah , kommen jetzt entspannt hinunter, andere fahren ihre privaten Trainnigsprogramme – genau wie ich, nur mit anderen Zielen. Eine Minute schnell, eine Minute langsam – aha – Intervalle am Berg. Kein Rad hier, das älter als fünf jahre scheint. Das Koga summt geräuschlos, die Kettenlinie ist gut. Erst der Abschnitt hinter Sandplacken wird anspruchsvoller.
Oben werden die ersten Räder wieder in Kombis gepackt. Wer vor zwei Stunden das Rad auspackte, nimmt jetzt die Spezialnahrung ein. Dann das Rad wieder verstaut rechtzeitig vor dem Mittagessen. Das Ordnungsamt hat begonnen, Zettel auf den Parkplätzen zu verteilen.
In Königstein werde ich zu essen finden. Gleich nach dem Ortsschild, noch in der Abfahrt sehe ich einen größeren Edeka Supermarkt mit vollem Parkplatz. So, als hätte es Corona nie gegeben – bis auf die Masken in den Gesichtern der durchaus gepflegten Kunden. Wertig–leger in den Samstag. Der Chef kommt ohne Kravatte ins office. Statt schwarzem SUV (nicht schön) nun schwarzer Hybrid SUV mit kleinem E Motor für den Ausflug ins Ballungsgebiet nach hohem Tempo auf der Bahn. Die schwarz-grüne Koalition gibt es schon. Vielleicht ist Grün das neue Schwarz.
Vielleicht sind Kravatten das neue grün.
Eine Edeka Pacht in Könisgstein müßte man haben. Hunderttausend p.a nach Steuern bis ans Lebensende. Eine schöne Weinwand nebenher. Hier ist nichts, was es nicht in einem kleinen markt in Rod an der Weil auch gäbe. Nur von allem etwas mehr und etwas besser – schon haben wir die Hunderttausend. Bald sind die Vorräte gefüllt , der Durst gestillt. Nächste Woche den zweiten Flaschenhalter montieren.
Drittes Kapitel
Der Beginn des Königsteiner Anstiegs ist doppelt mühsam. Beschleunigende Autos links, ordentlich Prozente vorn. Die Prozente hören bald auf. Die Rennbahn aber geht noch ein ganzes Stück weiter. Es ist die B8, die alte Nabelschnur zur (tiefen) Provinz. Ich bin froh, nach ein paar Kilometern abbiegen zu können, doch leider folgen mir immer mehr potente Fahrzeuge. Der heiße Luftzug des doppelten Turboladers. Das Feldbergrennen findet jeden Samstag bei gutem Wetter statt. Es ist inoffiziell, ihr könnt gern kommen und euch überzeugen.
Weiter mit Traktionskontrolle, dies ist der dritte Anstieg und nach dem roten Kreuz fühlt es sich schon zäher an, als noch vor zwei Stunden. Schon huscht einer vorbei.
Aber dieser junge Mann nutzt sein letztes Ritzel. Nicht dem Renninstinkt verfallen. Ich rede mit mir, das zwingt mich, aerob zu fahren, niemals in den roten Bereich. Sein Vorsprung bleibt bei zehn, fünfzehn Metern. Kein Gegenangriff. Ganz weit unten die zackigen kleinen Türme Frankfurts, weiter hinten das helle Gebilde eines Kraftwerks.
Also wieder oben. Der Rhythmus von Atem und Tritt stimmt, ist gefunden. Die Etuden für den Körper, dazu noch jede menge Folklore – was will ich noch für meinen Traum?
Ein größeres Auto hält: drei Kinder und drei Mounbtainbikes. Integralhelme. Die Kinder fahren los, die Eltern sehen hinterher. Werden sie wiederkommen? Vermutlich haben sie Tracker am Helm. man weiß nie. Wahrscheinlich fahren sie nur hinunter.
Mittagsbetrieb unter dem Feldbergkreuz: kaum ein Platz mehr frei am Holzgeländer. Ich packe Vorräte aus und zieh die Windweste über. Zwischendurch immer essen, am besten bergab.
Viertes Kapitel
Gleich geht es nach Schmitten hinunter, dem Anstieg der goldenen Mitte: Schön, gleichmäßig, nicht zu lang und nicht zu steil. Vor allem weniger Verkehr. . ..
Es geht auf, ich fühle es schon bei der Abfahrt nach Schmitten. Ich freue mich geradezu. Die Sonne ist immer noch schüchtern, doch es gibt sie. Diese Seite ist erheblich weniger befahren – oder machen alle schon Mittag? Tannenruhe. Nur der semiprofi vom ersten Anstieg (und aus Königsstein )ist wieder dabei . Die Grimasse der Anstrengung. Sorgen mache ich mir nicht. Werde selbst gleich ein wenig leiden.
So schlimm war es nicht. Am Gipfelkreuz jetzt so etwas wie Hochbetrieb, als allen Ecken kommen sie hinauf, zu Fuß, elektrisch, als Zeitfahrer oder mit 1×12. Oder motorisch. Ein Mann in Vollausstattung schiebt stolz sein Rad zum Gipfelkreuz und stellt es davor ab. Das Rad trägt den gleichen Namen wie sein Trikot, seine Socken, seine Schuhe und seine Hose.
Es wird ein Selfie. Er ist der Feldbergkönig. Andere sitzen da und senden eifrig Nachrichten , konzentriert bearbeiten sie den Screen während sie beiläufig mit ihren Nachbarn reden. Wer hätte je gedacht, daß diese kleine, spiegelnde Plastikfläche der am intensivsten berührte und liebkoste Gegenstand unserer Zeit werden würde.
Abfahrt die letzte
Kurz vor Oberreifenberg, da wo es wirklich steil ist, kommen zum Abschied zwei junge Matadore aus Kapitel2 entgegen: sie kämpfen. Ihr letzter Versuch. Nun locker hinunter , noch 60, noch 50 Wüstems, noch ein alter roter Targa – wie ein Spielzeug in den Wiesen – 45Kilometer bis zum Tisch in der Küche.
Halt
Die Bücherhaltestelle Wirges grüßt ihre habitués. Vieles ist noch übrig seit der letzten Inspektion, vieles dazugekommen. Die Ramschbücher und die, die aus der Mode sind. Ein Kennzeichen unseres Jahrhunderts wird das irrlichternde Verhältnis zum Buch sein. Man liebt es oder hält es für Papiermüll, es ist im Himmel oder im recycling. Zu wissen bleibt: man kann es nicht löschen und niemand liest mit, während die Seiten fliegen.
Das tausendseitige Lehrwerk der Anatomie (Springer, Heidelberg) vorzüglich vierfarbig illustriert und neuwertig wäre der Fang des Tages gewesen. Wissen fürs Leben. Vom Netz verdrängt? Ich werde es nie erfahren.
Schade nur, daß mein kleiner Quechuha Rucksack zu klein ist. Schnell was Kleines für den Freund aus Mannheim hinein und hop. Rheingold kann jetzt kommen.
Sehr inspirierende Aktion zur Austestung sportlicher Grenzen sowie und zur Vorführung aktuellen Sportgeräts (falls man noch rechtzeitig ein Rad der Saison bestellt hat…)
Vielleicht bekommt der Begriff der Kettenhunde so eine etwas positivere Konnotation, der bisher nur als Synonym für Feldjäger gegen Ende des letzen Weltkrieges galt, zuständig für die Aufrechterhaltung der Disziplin bis zuletzt sowie die Jagd nach Deserteuren…
Die richtige Bezeichnung ist Geheime Feldpolizei. Nicht sehr glücklich gewählt, stimmt leider.