Rheingold: Himmelfahrt 600 – erster Teil

ak1Christi Himmelfahrt – auch als Vatertag bekannt. Männer jeden Alters ziehen über die Lande, oft Bollerwagen mit Bierkisten hinter sich. Radfahrer passen auf, die Scherbenzahl auf den gemeinsamen Wegen nimmt stark zu.  Manchmal sind es  ganze Flaschen. Dagegen ich bin mit dem Rad unterwegs, den ganzen Tag schon:  Um  8 in der früh beginnt die Zeitrechnung des Rheingold 600 am deutschen Eck unter dem riesigen Monument.

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Jetzt, 14 Stunden später, ist es finster, ein winziger Mondschnipsel , ich bin müde, muß endlich schlafen.

Hier, in dieser Hunsrücker Bushaltestelle sind zwei halbgeleerte Flaschen Kirner Pils übriggeblieben. Einsam sehen sie mich im Licht einer Straßenlaterne an, die Dorfstraße ist leer, nur ein Trafo brummt hinter mir – vielleicht produziert er Abwärme. Im Hunsrück wird’s abends schnell kalt, nur wenige Lagerfeuer säumen den Weg, seit 20 Kilometern schon gar keine mehr. die Steigung hinter Kellenbach hat mir für heute gereicht. Irgendwann ist es gut.

Was dem einen die Flasche zuviel war,  wird mir ein Schlaftrunk nach 260kilometern. Vorsichtig fülle ich das kühle Bier in die leere Trinkflasche und nehme eine Kostprobe. Es ist frisch, herb und klar. Kühl sowieso –  Nichts als diese Bank in einer Bushaltestelle habe ich finden können. Da war die hölzerne 20 kilometer zuvor vielleicht besser gewesen: nach allen Seiten geschlossen, keine Plexiglasfenster, dickes isolierendes Holz rundum.

a13Hier in Hennweiler habe ich keine Wahl, was soll noch kommen in  dieser Dunkelheit mit drei Laternen auf 10 Kilometern.

Morgens im Zug durchs neblige Lahntal. Warmer Vortag und plötzlich dieser kalte Nebel. Bahnhof Nassau. Auf dem Campus der Leifheit Hausgeräte Werke knien 60 oder mehr Menschen. Ihnen gegenüber ein bärtiger Mann im Schneidersitz: weißer Kaftan, weißer Turban. Sie verneigen sich.

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Koblenz ist aufgeräumt, hier kenne ich mich beinahe gut aus, fröstelnd geht es an das Deutsche Eck. Der Kirchturm schlägt von der Stadt her acht und zwischen Müllwagen mache ich mich auf der Rheinallee davon. Kein Regen aber dafür kalt. Meine Laune könnte besser sein.

a4Sie wird es erst, als ich diesen Turm wiedersehe: die Sonne bricht oben durch und ich fahre immer höher. Eitelborn, Arzbachtal,  dann hinauf unter dem Limesturm entlang.a3

Ansehnliche Steigung hier, nach gerade einmal 20 Kilometern. Weiter übers Land. Tollkühn ins Lahntal und gleich wieder aufs Plateau.

a5Der Raps kommt zur Geltung vor Katzenelnbogen. Da ein rosiger Radweg: wieder hinauf. Rosiger Bitumen rollt leise, bekannt  von der Autobahn –( kurz vor Dessau war so ein Stück – lautloses Rollen dort, bevor alles auf drei Spuren erweitert)  es gibt dieses Material hier – Porphyr –  der Steinbruch folgt. Danach ab ins Aartal – Flasche 2 am Co3MGNCa Sauerbrunnen füllen. Und hinüber, weiter

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Über die Hühnerstraße, über die Wellen in die Idsteiner Senke in den Goldenen Grund bis Esch. Fast leicht und behende, doch  gleich geht es ins Tal und  beginnt der lange Weg hinauf zum Feldberg.Und da merke ich, wieviel schwerer alles geht, trotz leichtem Gepäck. 2 Kilo mehr, das spürst Du sogar im Frühling Deiner Kraft. Aber Du wirst die Sachen brauchen, verfluch sie nicht!ak4

Ein oder zwei Vollcarbonräder haben mich her gezogen, das tut gut. Rasch nun bis an den Rhein, vorher eine Pommes finden. Auch die Wolken nehmen zu,  frage nicht nach dem Wetter.

Wenn ihr jemals durch Taunusstein kommt: nehmt nicht die Shell Tankstelle. Ritter Sport 2 Euro 50, da hört sich der Anstand auf und der Rest ist auch mäßig. Sind die Taunussteiner denn so reich? Dabei das Angebot winzig, die Leute von Total halten mehr von ihren Kunden. Nicht nur Schnaps und Zigaretten.a6

Gut, den Weg schon zu kennen und die nächsten Steigungen bis Hausen vor der Höhe,  viel besser teile ich mir die Kraft ein. Ganz zurückgenommen hinauf, locker hinab. Bald schon stürzt der Kurs auf Fischbach zuak5

Da verbummle ich mit der Suche nach dem Feuerwehrmuseum ein paar Minuten. Sehr kleines Haus.

a9Finde hier aber auch ein paar Pommes Frites. Sie weiß nicht, wie lange sie‘s noch mit ihrer Schwester macht, das Lokal mit seinen bunten Glassscheiben. Brät auch Fische. Die Pommes gern mit ordentlich Salz. Ein paar Wanderer und Rentner : dann geht’s wieder bergauf, aber besser als zuvor. Der warme Magen hilft.

Kurzer Regenwechsel im Wispertal und ohne Hast in den Anstieg zum Presberg, feucht ist es, nur ein Schauer.b2

Da oben heißt es das Forsthaus finden und belichten. Und ab an den Rhein. Nicht zu früh freuen, erst noch an die Kontrollbank“zwei Burgen Blick“ über den scharfen Stich in die Weinberge: der schönen Aussicht wegen. Kleinste Fliegen prasseln an die Kappe, ich zieh sie tiefer ins Gesicht. Kleiner Gang, kleine Fliegen. Junges Liebespaar im alten BMW sucht nach einem schönen Platz. Bin ihnen eine Minute zuvorgekommen dank Fahrrad . Der Güterzug zieht durchs Tal.

a8 Aus dem Rondell Lautes Singen und Johlen. Hier im Weinberg gibt’s zu Himmelfahrt kein Corona. Die Abfahrt ist trocken und so gelingts‘ ohne Tücke. Jetzt mich auf Bingen freuen – das rechte Abendessen finden,  Kraft für die nächsten Stunden.

a12Auf der Fähre schonmal die Pumpernickelbrote plus Tomaten. Der Junge neben mir blickt zurück zu seinem Vater, dessen Gesichtsfleck am Ufer langsam kleiner wird. Auf der Bingener Seite wartet schon die Mutter – Vatertag.

ab2Mit Bingen werde ich auch heute keine Freundschaft schließen. Wie lange ich wieder nach einer guten Mahlzeit suchen muß. Mekong,  die einzig fernasiatische Adresse unter den kleinasiatischen Lösungen – immer noch die Beste, aber  es ist eine jämmerliche Hühnersuppe aus dem düsteren, fettigen Gastro- Schlauch. Ohne Ei ohne Reis- nichts zu machen. Sie verstehen nicht was ich will, die Hälfte der Angebote auf dem großen Bildschirm ist wohl erfunden. Wieder eine Viertelstunde, die endlos scheint.

Bauch gut, Beine gut. Jetzt meine Huhn mit der Lauschhütte rupfen – erstmal das Sträßchen dorthin finden. Die Hänge sind zugebaut, an Wegweisern fehlt es. Schon wieder verpasst und dann doch gefunden: ich erkenne meinen Kreuzweg von vor 10 Tagen wieder. Nun piano, piano.ak8

Und sachte hinaufgekurbelt, es prägt.  500 Höhenmeter am Stück. Oben Campervan, Zelt  und Lagerfeuer auf dem Parkplatz. Herberge geschlossen. Weiter hinein jetzt in den Hunsrück. Immer ein Auge auf einen möglichen Unterschlupf. Jetzt bin ich endlich in meinem Brevet angekommen. Es rollt.aa2

Die Autobahn in der Ferne. Es steigt weiter, aber ohne Mühe. Auch der Westwind ist milde. Fahre am Hang entlang über die Dörfer im Abendlicht. Auf  in den Soonwald, an seinen Häuschen und Ferienhütten vorbei. Soll ich es so machen wie Werner Herzog ?: einfach in ein unbesetztes Haus einsteigen? Kein Dietrich.

Mein Herzog Moment währt nur kurz, als ich das düstere, verlassene Hotel sehe. Es stehen Autos in den Einfahrten. Auch bellt ein Hund. Da springt ein junger Hirsch über die Straße und schon die nächste Siedlung. Ein Feuer im Garten. Hier einmal halten.

Die Dame des Hauses trägt ein langes pastellenes Gewand in mehreren Lagen, knöchellang. Wie aus einer Oper, diese große blonde Frau, die mich doch verwundert ansieht, wie ich sie nach der Ausgangssperre frage. Vom Lagerfeuer sehen 2 Jugendliche hinüber. Alle Smartphones sagen übereinstimmend: keine Ausgangssperre mehr für den Kreis Bad Kreuznach. Die große Frau sieht mich an und fragt, was ich vorhabe. Ob sie etwas tun könne?

Bis zum Erbeskopf sind es noch über 60 Kilometer.  Ich vergesse ganz, sie nach einer Banane oder einer heißen Schokolade zu fragen: denn ich muß weiter liebe Loreley, ich schicke Dir eine Postkarte.

a14Ein letztes Tal, ein letzter Anstieg. Das nächste Dorf. In Bushaltestelle merke ich beim absatteln, wie ich frieren werde.

Ich kaue noch ein gutes Stück Kümmelmettwurst, eine Tomate und ein paar Toppifruttis und ziehe die Daunenjacke über. Dann den Biwacksack, ein sehr leichtes innen silberbeschichtetes Stück Poly mit Reißverschluß ab der halben  Höhe

Gleich wird meine Körperwärme die silberne Innenbeschichtung kondensieren. Ich ziehe den Reißverschluß weiter zu und winkle die Beine an. Mit der Brotdose in meinem kleinen Rucksack simuliere ich ein Kopfkissen. Es ist der Donnerstag, 13. Mai 2021, die Ausgangssperre ist aufgehoben, aber in Hennweiler geht eh niemand aus. Es wird kühler, aber ich bin so müde, das Bier läßt mich wohlig eindösen.

Ein paar Stunden später wache ich auf, die Kälte. Ich öffne den Schlafsack um mir die Beine (am Trafoturm) zu vertreten – dann schnell  wieder hinein. Jetzt ziehe ich den Reißverschluß völlig zu, bis nur noch ein kleines Loch übrig ist, ein kleines Lichtloch. Ein junger Mann auf dem  Weg nach Hause –  schrickt auf, als ich ihn aus dem Loch grüße – vorsorglich, bevor er sich über die Bierflaschen hermacht.  Jetzt Gedanken finden, damit der Schlaf wiederkehrt, den ich so brauche: der Tag bricht  kurz vor fünf an. Die Innenseite ist schweißnaß,  Beine anwinkeln und aneinanderlegen. Ich schlafe halb und halb Bilder überlagern sich. Bei jedem Vogelruf denke ich, es wird morgen und döse in Portionen wieder weg. Ich friere und falte die Hände (mit Handschuhen!) gleich unterm Kinn. Die zweite Kappe war ein guter Einfall, oben bleibts warm. Kein rechter Schlaf zu finden. Aber was soll ich draußen? Erst zwei, also über zwei Stunden bis Sonnenaufgang. Bilder vom Tag kommen lassen und einfach nur ganz gespannt die Musik der Welt hören. Nur noch zuhören während die Bilder auftauchen.  . .

Musik aus einer bluetoothbox: kommt näher; ein junger Nachwuchsrapper singt mit und zieht die Dorfstraße hinunter, ohne mich zu bemerken. Dann rauscht ein Frachtflugzeug. Kälte. Soll ich doch nach einem EC -Vorraum suchen? Kraftverschwendung. Alles ist Stoffwechsel. Je ruhiger ich bleibe, desto weniger Energie geht verloren. Ganz ruhig atmen, nur das kleine Luftloch, keine Energie verschwenden, Beine anziehen, Hände über dem Kinn falten. So bleiben, eigene Wärme speichern, Augen schließen – nur noch hören –  und erst aufstehen, wenn es wirklich hell wird.  . .

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Eine Antwort zu Rheingold: Himmelfahrt 600 – erster Teil

  1. glueckskind@posteo.de schreibt:

    Danke für den stimmungsvollen Bericht. Macht noch mehr Vorfreude auf meine Hunsrücktour im Juni 🙂

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