Besuch in der Basaltstadt – Rheingold 600 Teil 3

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14 Mai 2021 Abschied von der hohen Acht – hinunter nach Mayen.

Einfach da sitzen unter dem Heizpilz. Bis Wärme eindringt, braucht es seine Zeit. Ganz ruhig schneide ich ein Stück nach dem anderen von der heißen Pizza ab. Von der hohen Acht hinunter nach Mayen geht es am Vulkan abwärts, immer weiter abwärts ins Tal der Nette, die nochmal einen feuchten Schub Kühle herüberträgt. Mich schnell in die Basaltstadt retten.

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Innnerhalb der Stadtmauer. Eine aufgeräumte, propere Stadt voller Läden mit großem Marktplatz. Keine zugenagelten Fenster, Nagelstudios oder ad- hoc shisha Großhändler. Kleidung, Speilwaren Schreibwaren und geschenke – und ein Licht draußen:  die offene Pizzeria! Zum ersten Mal wieder auf einer Terrasse sitzen seit über einem Jahr. Schnell den Coronatest machen und still die 510 Kilometer bis hierhin feiern. Test negativ – steck ihn ein, sagt der Mann von der Pizzeria mit der karierten Weste: Du kannst ihn 24 Stunden überall nutzen,  es ist offiziell.

Dann nehme ich die Decke auf von der Sitzbank, wickle sie um mich herum und bestelle die große Pizza.  Hier gleich auf der Bank übernachten geht nicht,  aber Essen ist eine prima Alternative. Der Tisch hinter mir ist voll besetzt und das Gespräch lebhaft. Bürger, die über ihr Geschäft reden und die Immobilien. Dazwischen einer, der stets aufs neue sein Urlaubsitalienisch für die nächste Runde caffé , zabaione und Schnaps auspackt. Andere reden auch von spanischen Inseln. Ich genieße und schweige : tief zufrieden mit meinen Kilometern. Mayen, seit Jahrhunderten stolze Bürgerstadt an der Kreuzung der Handelswege, Basaltgruben;  hat sich immer zu wehren gewußt. Handel und Wandel. Nur darum geht’s. Klima oder Umwelt: wo ist das nächste Geschäft. Mit solchen Menschen ist zu rechnen,  was in den Kommunen läuft wissen sie, der Gewerbesteuerhebesatz.

Nach einer halben Stunde kommen die Kalorien an, endlich spüre ich, daß es im Freien noch angenehm ist, bin der einzige, der zwei Jacken trägt. Aber nun auf, den Schlafplatz finden. Nichts im Innern, Flußnähe meiden, darum hinauf auf den Berg, Kirche, Vorplatz, Ämter; rechterhand einsame und ruhige Straßen. Am Ende ein Friedhofstor. Die Halle hat ein Vordach und eine lange Bank darunter. Sauber und ordentlich. Vleece-decke auspacken.

Ich weiß, daß mein Vorderrad Luft verliert, muß gerade erst passiert sein. Nehme ich mir als  erste Übung nach dem Aufstehen vor.  Jetzt mich in der neuen Bleibe einrichten: ich höre das Rauschen einer Autobahn – die A48 –  dazu Geräusche von Maschinen. Die Decke im Biwaksack ist von phänomenaler Wirkung. Was für ein kuschliges Nest. Ich werde 7 Stunden schlafen und mich wohl fühlen. Die Baustelle auf der Autobahn höre ich noch der Wind ist also auf Süd, dann kommt schon der Schlaf.

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Gleich nach 6 bin ich auf, trinke einen Ayran und genieße die Banane. Dann der Schlauch – ein ganz winziger Splitter hat sich durch den Mantel gearbeitet, kaum zu fühlen. Gefahr beseitigt- kleine goldene Pumpe schafft 5 oder 6 – reicht.

Letzter Blick zurück: hier hast Du gelegen, jetzt sind es keine Hundert Kilometer mehr. Auch wenn Du wieder Zeit vertrödelst auf dem Weg hinaus, die Sache im Griff haben ist ein gutes Gefühl. Der Körper ist müde, braucht seine Zeit, bis er wieder voll arbeitet, aber der schöne Radwaeg auf der alten Eisenbahn macht ihm leicht.

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Täler überqueren, am Spargel vorbei, erste Sportler grüßen. Asphaltierte Bahnlinien, in der Ferne die Autobahn, die großen Lager am Ende der Stadt. GLS, UPS, DHL. Standortvorteil.

Dann gegen den Wind ins Maifeld. Viele Wellen, wenig Bäume, das Land ist fruchtbar. Rotschwänze schaukeln im Raps. Die Morgensonne geht schräge durch helles Laub. Frische Luft. Ich schukle durch die Dörfer.

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(Alles gut am Rad, der neue Schlauch hält, es rollt, mehr will man nicht. Nach einem Tag ist es ein Teil von Dir,  ein gutes Werkzeug. Die Ladung sitzt stramm, nichts wackelt bei den Trinkflaschen. Die Kette schnurrt immer noch – beinahe lautlos,  die Reifen summen. Das Summen der Reifen und das tickern der Dreigangnabe, dieses alte Geräusch der Freiheit. Du spürst Deine Finger, Deine Hände, die Griffe schmerzen nicht . Ab und zu recken und strecken, Arme hinter dem Helm verschränken und Rücken durchbiegen. Darum ist es so wichtig, freihändig ohne Flattern rollen zu können. Cappucino rechts, laugencroissant von links eintauchen und rollen lassen. Nicht weil man keine Zeit hat, sondern weil es so schön passt in den Rhythmus, zum lockeren kurbeln mit einem Cappuccino.  Aber noch ist es nicht soweit. )

Abfahrt zur verwunschenen Burg. Auf dem Busparkplatz nur ein erbsengrüner Camper mit Besatzung:  Scheiben sind vom ersten Kaffee beschlagen. Ein Paar sieht mich an. Der Urlaub.  

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Da ist die Burg – anzusehen ein kleines Wunder. Ein häßliches Schild daneben. Drohneneinsatz nicht erlaubt, mfg der Eigentümer. Abschuß der Drohnen mit Armbrust ? Es waren Raubritter, die sich diese Festung bauten.  

Zurück ins Maifeld, weiter über den Wind und die Felder vor Polch, wo die Keksfabrik steht. Große, fruchtbare Hochebene, wie eine Insel aus Getreidee mitten in der vulkanischen Steinlandschaft ringsum.

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Dann durch ein Mühlental an die Mosel. Ungestört unter Singvögeln. Ich kenne dich, aber so schön warst Du noch nie. Zu früh und zu kühl für die Motorräder. Auch noch keine Gastronomie geöffnet, es lohnt die Anfahrt aus Unna noch nicht.

Ich vergebe drei Sterne für die Aral Tankstelle im Schatten der Brücke von Treis. Kalorien, gute Kalorien, mein Dank überrascht das Mädchen hinter der Theke. Jetzt ist der Cappuccino da.  Gleich geht es an der Gegenseite hinauf  – wieder in den Hunsrück (und ich kenne diesen Anstieg auch: Hitze,Marathon Polch 2014).

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Die Mosel wieder, das große gewundene Band und die Frachtschiffe.

Die Mosel immer tiefer unter mir, der Anstieg wird sich eine Weile ziehen, trotzdem mag ich ihn. Ich habe meinen Rhythmus, ich habe frisches Koffein im Blut und das das Ziel kommt näher. Maifeld und Mosel: wieder ein Kapitel geschlossen, die letzten Seiten des Rheingold 600 werden gleich geschrieben.

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Die Wolken ziehen schnell über mir hinweg, frisch bleibt der Wind heute. Die Melodie des zweiten Prokofiew Klavierkonzert kehrt immer wieder, seit zwei Tagen schon. Die Gewitterfront war gestern und soll mich nur gestreift haben, der Regen kommt zu spät. Der Hunsrück und seine Wälder rund um die A61 geben gut Deckung. Südwest mit vollem Gegenwind, wie es die großen Windräder zeigen, doch das ist gut so: gleich geht es nach Osten auf den Rhein zu und dann, ganz am Ende, über 10 Kilometer flach daran entlang! Noch einmal ins Grün tauchen, Rehkitze sehen, Bremsen und aufwärts. Immer wieder aufwärts.

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(Das war er- lang und zäh, gleich nach einer Haarnadelkurve mitten im Wald, gleich nach einer rasenden Abfahrt. Aber die Kraft ist da, es ist nur der Rhythmus, der wieder gefunden werden muß. Kein Auto, kein Motor, je einsamer, desto besser. Kein besonderer Anstieg, auch nur drei oder vielleicht vier Kilometer.  Eine kehre im Wald, eine Kehre im Feld eine kehre im Dorf und bald die Kuppe in Sicht. Die Form ist da, wenn Du nicht über sie nachdenkst. Sie ist ein Geschenk, mit dem Du gut haushalten sollst…)

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Ein Buchstabe weniger und schon transzendiert die Bundesstraße zur Abkürzung ins Nirvana. Jetzt noch an den Loreley- Bogen. Es gibt ein Schild, ist nicht zu verfehlen. Durch einen Feldweg auf den Rhein zustürzen, im letzten Moment  vor dem Steilhang links, ein kleiner Pfad.

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Dann dieser Blick

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Und dieser

Im Dorf die rheingoldstraße, das Programm der Reise. Diese Reise, die jetzt ganz deutlich zuende geht, mit Rückenwind, in weniger als einer Stunde, wenn alles klappt. Auch an einem grauen Tag kann Euphorie entstehen, auch hinter einem Wohnmobil aus Herford. Nichts gegen Herford, alte Stadt.

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Nun Boppard, liebe B9. Immer auf dem Randstreifen, immer den Radweg meiden! Die Fuhre rollt, wie heißt der gott? : Zéphyr. Das Ende sehen. Den Wind spüren. Dunkle Wolken links, Sonne vor mir. Das Finale wartet bei Kilometer 606.

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Das Finale ist eine Bergankunft. Der Schauer hat mich gerade eingangs Boppard erwischt, und ist schon wieder fort, als ich die räudige B9 für ein kleines Tal verlasse, wo der Scharfrichter wartet. Ich hatte es mir gedacht.

Und ich ziehe den Joker: 30×28, denn ich werde nicht mehr absteigen, bis ich oben bin. Und nach den ersten hundert, vielleicht 200 Metern wird der Berg milde, die Bäume streicheln mich mit ihrem Schatten. Denn die Sonne ist wieder da. Habe ich ein wenig Glück gehabt, habe ich ein gutes Rad und genug Sauerstoff überall.

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Und dann bin ich da! , neben dem geschlossenen Biergarten. Also stoße ich auf den Rhein und seine nächste Schauerwolke mit der Trinkflasche an. Vergesse ganz, die Mountainbiker nach einem Bild zu fragen. Was solls, es ist schön, hier zu sein und seine Ruhe zu haben, während im Tal die Bahn vorbeirauscht, eine Kirchenglocke läutet, der Strom vorüberfließt.

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Der nächste Schauer kommt, ein Dachvorsprung hilft und langsam genieße ich den Feta und den frischen Fenchel, ganz langsam, bis die Sonne wiederkehrt und ich weiterfahren kann.  . .

15 mai 2021

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2 Antworten zu Besuch in der Basaltstadt – Rheingold 600 Teil 3

  1. Luisa schreibt:

    Bravo! Das inspiriert. 🙂

  2. crispsanders schreibt:

    Umso besser. Man sollte einen kulinarischen Guide für Brevets erstellen.

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