9. Juni 2021. Toni taucht aus dem Nebel auf. Wir treffen uns vor den Toren Nürnbergs. Toni kommt vom Bahnhof, direkt aus dem Berliner Nachtzug, mir hilft ein Taxler („sonst geb i koane tipps . . .“ ) noch durch das Dickicht der Parkgebühren. Nervenbalsam – Für vier Tage steht der Wagen sicher und „gebührenfrei“ unter einem Hochhaus der Neuen Heimat, gleich neben den Mülltonnen.
Kurz nach sechs am Morgen. Wir rollen gegen den langsam eintröpfelnden Strom der Pendler Richtung Osten hinaus aus der Stadt. Zwei Tage auf dem Rad liegen vor uns, eine komfortable Übernachtung dazwischen.
Einen Espresso später verrauchen die Vororte der Vororte hinter uns im Nebel. Team Stuttgart zum dritten mal unterwegs nach Österreich zur inveloveritas, diesmal an einen Ort mit dem mysteriösen Namen Laa. Laa an der Thaya genau gesagt liegt noch 600 Kilometer entfernt von unseren Maschinen. In zwei Tagen wollen wir dort sein. Heute einrollen, morgen anrollen.
Komoot hat uns Route für „Fahrräder“ ermittelt, was nichts anderes bedeutet, als dem Algorhythmus Schotter, Sand, Radwege und Kopfsteinpflaster zu empfehlen. Ein abwechslungsreiches Programm – welcher Reifen wird zuerst aufgeben?
Franken und die Capricen des Algorhythmus
Der Schotter am alten Ludwig –Donau-Main Kanal ist noch taufeucht aber sehr rollend, überhaupt ein angenehmer Tag, der hinter dem Nebel auf uns wartet, wenig Wind, kaum mehr als 25 Grad, also bestens.
An dieser Skulptur nehmen wir uns nochmal die Zeit, unsere Räder zu präsentieren. Es sind die bewährten corsa extras aus der Merckx –Manufaktur in Meise, so um 89/90 gelötet und in diesem Dekor für das Team Stuttgart ausgeliefert. Das Gerät mit dem rosa Lenkerband ist einen Zentimeter größer und modernisiert auf 10 fach cum „kompakter“ 50/34 Kurbel. Bei mir tut es die Originalausstattung. In letzter Minute habe ich das Hinterrad mit den gemütlichen 28Zähnen gegen das ursprüngliche 26er tauschen müssen – die Konen vom Letztjährigen sind bedenklich verschlissen.
Noch sind wir nicht an der Donau, wir arbeiten uns über fränkische Hügel, Dörfer und Täler. Die Kräfte sind noch frisch, Steigungen nicht der Rede wert, der Durst nicht akut. Das Tageslicht fällt in einem anderen Winkel , die Sonne leuchtet schon anders hier unten. Blau und Grün leuchtet die Welt.
Wirtshäuser am Wegesrand passieren wir stoisch, ihr schöner Anblick muß genügen. Die 300 Tageskilometer bedeuten, wir kommen heute bis kurz hinter Passau. Wir sind da unterwegs, wo Deutschlands Karte einen Fuß nach Österreich hin macht, die Beuge südlich entlang am Böhmerwald. Bayern liegt weiter im Osten , als wir denken.
Unbekanntes grünes Land, wir lassen es an uns vorbeitreiben im munteren Gespräch: fast ein Jahr haben wir uns nicht gesehen, die virtuelle Welt ist nur ein schwaches Substitut. So laufen die Kilometer dahin, kleine Zacken inbegriffen. Ein Langer Brevet braucht kein hohes Tempo, er braucht nur das Richtige; Reserven werden irgendwann gebraucht,- immer.
Ein Algorhythmus ist kein capitaine de route, der Unterschied zwischen Karte und Gebiet wird ab und zu deutlich – manchmal reicht uns ein Blick, um die vorgeschlagene Route über einen engen Knüppelpfad zu verwerfen und die kaum befahrene Landstraße zu wählen. Eine völlig unbekannte Gegend lesen, den besten Weg mit dem Auge finden. Auf langen Strecken ist alles eine Frage des flows. Und der Pausen am richtigen Ort mit den richtigen Kalorien. Nach den Hügeln, (die sanft sind), folgen Täler wie für eine Illustration von Grimms Märchen; wer hier eine Mühle hatte, war auf Generationen versorgt.
Dann kam die Eisenbahn und später der Asphalt. Wir sind Kinder des Asphalts. Bayern meint es gut mit uns, wenig Verkehr, kaum etwas, das uns unterwegs stört. Nicht einmal Touristen: einerseits schön, andererseits traurige Coronafolge. Die lockenden Versuchungen am Wegesrand fallen einstweilen aus.
Niederbayern und die Ruhe der reifenden Feldfrucht
Eine größere Falte muß überwunden werden, sie führt am ältesten Wirtshaus Bayern und der Welt vorüber (mit Brauerei), das den Namen Röhrl trägt. Ein Name wie Donnerhall, der Name ist ansässig, Regensburg also nicht mehr allzuweit, die große Donau auch nicht. Wenn ich es richtig sehe, haben wir Franken verlassen und sind auf dem Gebiet Niederbayerns.
Und dann sehen wir den Strom; es ist um Mittag, ein träges graugrünes Band in der Sonne. Breit wie der Rhein, aber mitten in den Feldern und landschaftlich großzügig gerahmt, kaum Straßen, verstreute Dörfer, unaufgeregte Landschaft. Sonne und weiße Quellwolken. Bayern macht kostenlos Werbung für sich.
Wir überwinden eine der großen Brücken und machen uns über einen Schotterweg am Ufer entlang auf nach Regensburg. Plötzlich Menschen, Wanderer, Angler und Radfahrer.
Und dann auch schon mittendrin, dem Dom die Ehre erweisen. Eine Stadt der Kirchen; rund um den Dom kann ich die Zahl klerikaler Gebäude kaum erfassen. Die Stadt verströmt feierliches Selbstbewußtsein, großzügig sind die Pflasterstraßen auch im alten Kern angelegt, die Zahl der Besucher (wie wir) bestätigt den Bischof in seinem Entwurf. Regensburg hat ein Pfund.
Mittlerweile trage ich die Spuren eines Cacaoccino-Unglücks auf der Brust (und nicht nur dort) . . . Wer im fahren trinkt , sollte besser aufpassen, vor allem wenn einscherende Rentner das Tempo hemmen. Für uns geht es gleich weiter, Mittag ist vorüber, rasten wollen wir abseits der Stadt.
Mit diesem Radladen in Apothekengewand (Geschäftsaufgabe wegen verwerflicher Namensgebung) verabscheidet sich Regensburg; über Kopfstein und durch Torhäuser sind wir bald wieder auf die andere Seite der Donau. Nürnberg – Regensburg – Passau, das ist der große Dreiklang. Es geht sich aus.
Bleibt also Zeit für einen kleinen Abstecher zur Deutschen Ruhmeshalle, wer weiß, wann große Denkmäler wieder so nah am Weg liegen. Dieser Neo-Parthenon wurde Walhalla getauft – weil hier die Großen Germaniens als Gedenktrafeln und Büsten versammelt sind. Also ein Pantheon (ohne Grablege) großer Teutscher Geister im Gehäuse eines antiken Tempels, errichtet auf einem sanften Hügelvorsprung über der Donau.
Die eigenartige Verkappung einer germanischen Weihestätte durch stahlarmierte antike Tempelbaukunst (das schwülstige Fries übersehen wir) – läßt uns in milderem Klima die großartigen Proportionen des Gebäudes genießen. Im Rücken der Antike : die Laubwälder.
Wir sind nun definitiv im flachen Land, es ist gut Meilen machen auf unserer Strecke, nach der Rast bauen sich immer dunklere Wolkenformationen seitlich auf, noch drängt der Wind sie zurück. Holunderrausch, Pappelblüte, Lindenwolken.
Vielleicht ist Halbzeit, vielleicht schon mehr, so genau spürt man das nicht.
Kirchtürme im Hintergrund deuten die Linie der großen Chaussee nach Passau an. Dahinter Umrisse des Böhmerwalds. Wir rollen als Schattengespann parallel. Seit 9 Stunden ist das Leben ein langer, ruhiger Fluß, der durch Bayern fließt. Man versteht das Befremden der Einheimischen gegenüber den ballungsräumen der Republik.
Die Räder surren zwischen den Feldern dahin, alles wächst und gedeiht. Das Corsa Extra ist ganz bestimmt kein Reiserad, man kann es dennoch dafür nutzen. Der Rahmen ist steif genug für ein paar Kilo Last, der Geradeauslauf stimmt, nur eine komfortable Position bekommt man nicht: sie bleibt gestreckt. es ist allemal besser, vorher schon ein paar hundert Kilometer mit einem solchen Design zu proben. So entgeht man Verspannungen oder Rückenschmerzen. Eine recht scharfe Klinge also, wer aber vom Rennrad kommt, den wird sie nicht schrecken. Allein, man muß es selbst herausfinden….
Bei Deggendorf prallen wir auf die Reste der Wetterwand, werden angefeuchtet, sehen aber, wie sich die Wolkenmassen an einem letzten Vorsprung des Böhmerwaldes brechen. Die Sonne übernimmt, sie wird die Straße (und uns) schnell wieder trockenblasen. Auch wenn die Strecke keine dramatischen Aufgaben stellt, auch wenn die Meilen dahinfließen – am Ende zehren sie doch. Zwanzig Stunden werden wir heute wach gewesen sein, wenn wir in der Etappe sind, die Anfahrt zählt ja auch. Der Hunger wächst stetig mit der Distanz .
Über Passau ins Ziel
Und so sehen wir Passau kommen, davor ein monumentales Stauwehr aus Backstein, überqueren den Strom und freuen uns auf frische Kalorien.
Denns Bio Supermarkt ist der Ort, an dem Dein Kilo Tomaten bis zu 8 Euro kosten kann. Wer nie das Glück hatte, dem Ambiente herkömmlicher Supermärkte zu entkommen, immer auf der Suche nach dem schnellen Schnapp, der sollte sich zu einem Rundgang verleiten lassen. Am Eingang schon wird mit Gebäck und fairem Kaffee gegrüßt, die Zukunft ist bereits Wirklichkeit: nirgends Plastiktüten, nur Papier, Milch vor allem in Glasflaschen, genau wie Joghurt; Obst und Gemüse sind handverlesen, vorsichtig wähle ich Banane Tomate und ein, vielleicht zwei Äpfel aus. Die Menschen bewegen sich gelassener, dabei durchaus konzentriert, manche ohne Einkaufswagen (welche leiser rollen als bei der Konkurrenz). Sie jagen keine Schnäppchen, sie denken nach. Bewußtes konsumieren. Alles ist erlesen, ohne auffällig zu wirken – gute Jeans, richtige shirts aus richtiger Baumwolle, gesunde Sandalen, der faire Nagellack, die Sonnenbrille im Haar. Wir sollten heuer die einzigen Menschen in Synthetikfasern sein. Exotisch repräsentieren wir die falsche Welt in der Richtigen. Man muß schon genau hinschauen, denn Erfrischungsgetränke tragen alle fremde Namen, ihre Farben leuchten nicht so auffällig. An der Kasse wird nicht gedrängelt. Draußen auf dem ersten Parkplatz vor dem Eingang steht ein schwerer Hybrid Porsche. Sein Kennzeichen endet auf E.
Passau ist voller Leben. Die Pandemie ist vorbei – oder macht große Pause. Ich hätte so gern einen Mc Donalds, aber der hat sich versteckt. Frevelhaftes Denken, sicher, aber der Hunger ist stärker.
Wir sind schon auf der Rückseite, über die Inn, die aus Österreich hinaukommt und sich in die Donau ergießt. die letzte Stunde unserer Fahrt schon an. Ein wundervoller Blick zurück, ein letztes Staunen, gleich kommt die Grenze. Die Straßen sind voller kleiner Äste und feuchter Flecken. Hier also war das Gewitter. Das Wetterglück bleibt uns treu .
Jetzt fließt die Donau plötzlich zwischen wilden Hügeln hindurch, so daß gerade einmal eine kleine Straße dazwischen paßt. Grüne Wälder türmen sich auf. Es erinnert mich an die Lahn, nur alles dreifach vergrößert.Wo die Donau Platz hat, baut man ihr ein Stauwerk, dieses hier ist wie ein klassisches Monument.
Das Wasser rauscht, donnert und schäumt wie am Atlantik. Die Gischt sprüht – aber ohne eine Spur von Salz. Der Fluß riecht gut, keine Spur von Klärchemie.
Die Sonne senkt sich allmählich über das Schauspiel – Gleich haben wir es für heute geschafft, in Engelhardtszell erwartet uns das Goldene Schiff mit einem großen Schnitzel . . .
Das letzte Bild ist ja der Hammer!
Es war mir ein Fest! Nächstes Jahr Anreise aus Zagreb?
Gibts Zugverbindung dorthin?
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