Dans le 1000

Die Farbe des Südens ist blau, azurblau. 1000 km sind es dorthin, 1000Kilometer bis zum 1000 du Sud, einer großen, übergroßen Schleife durch die südlichen Alpen.

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Auf der Höhe von Avignon hatte ich genug gesehen. Mit der Autobahn entlang der Rhone begann eine endlose Abfolge von schuhkartonförmigen, fast immer grauen Gebäuden. Sie hatten auf der Höhe von Dijon begonnen, die Aussicht zu verbauen aber hier an der Rhone wurde es unerträglich. Den Kartons ist völlig gleich, was darin gestapelt , gelagert oder verkauft wird, Schaumwein, Automobile, Halbfertigteig oder Schlafgelegenheiten.

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Die Rhone verdoppelt diese Kunstlandschaft um eine weitere, parallele  Welt von industriellen Anlagen, es wirkt fast so, als sei der Fluß  in Wahrheit ein ebenso synthetisches Bauwerk wie die Autobahn, allein dazu geschaffen, zu transportieren, was über 40 Tonnen wiegt, nebenher ein paar Atomkraftwerke zu kühlen oder die Fäkalien von Lyon zu verdünnen.

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Die Nationale 7, heute zur  DN7 degradiert, war die große Ader des Südens, Fluch und Segen der mobilen Gesellschaft. Sie war das große Asphaltband ans Mittelmeer (die Sommerferien! Campingplätze!), auf unzähligen Ortsdurchfahrten unzählige alte Laster mit maximal 300 PS, grauenhaft langsam, Überholverbote über Kilometer. Das mobile Leben war in Zeiten katalysatorfreier Explosionsmotoren ( ja, das ist der korrekte terminus technicus, Treibstoff wird nicht verbrannt, er explodiert!) eine ähnliche Hölle gewesen sein, wie es die Autoroute du Soleil an Wochenenden von Juli bis  August immer noch ist. Nur eine Frage der Fahrzeugdichte.

Ich rolle dahin und höre Geschichten im Radio. Gleich zwei Sendungen widmen sich dem letzten Buch von Gaspard Koenig, der zu Pferd den Weg Montaignes von Bordeaux nach Rom nachgeritten ist, ein gelungener Versuch, Herr seiner Zeit und seines Geschicks zu sein. Und eine gewisse Autarkie zurückzugewinnen.

Was wäre geschehen, hätte er mein blaues Rad genommen?

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Ich habe die Landstraße und die Platanen gewählt. Es stehen noch viele, nicht mehr alle, aber viele säumen jetzt über hundert Jahren den Weg des Wanderers, decken ein mildes Licht über die versengte Sommerlandschaft, ein hellgrüner Filter mit Flecken. Der Tempomat steht auf 82 kmh, der Verbrauch sinkt unter 5 Liter.

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Wie ein Mahnmal (oder ein Versprechen) erhebt sich der Total Stilit an der letzen Erhebung vor Aix. Ein Wahrzeichen des siegreichen Automobilismus.

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Spätere Archäologie wird es entschlüsseln. Seiten zur N7 gibt es schon mehrere.

Hinter Aix en Provence bleiben keine 100 Kilometer bis Cotignac, ein Dorf im Departement Var, Ausgangspunkt einer recht irrsinnigen Unternehmung: dem 1000 du Sud. Die ersten 1000 Kilometer liegen bereits hinter mir, ein langer Weg in die Wärme, ein Weg zurück in den Sommer und ins Ungewisse.

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Die Straße ist beruhigend leer, lokale Kleintransporte und Leute, deren Radius nicht weiter als zum nächsten Supermarkt geht. Gaspard Koenig hat sich auf sein Experiment eingelassen auch um nachzuforschen, wie stark sich das Bild eines Landes durch eigene Erfahrungen bildet, über die alltäglichen wirklichen Begegnungen eines Reisenden ohne Auftrag. Er ist als erfüllter Mann angekommen –

Die Platane ist ein willkommener Neophyt, der Baum des Südens ist die Pinie, deren hellgrüne Nadeln eine unerwartet frische Note haben, eine milde Frühlingsfarbe Anfang September. Rundum stehen sie. Und dann sind da neben Olivenhainen noch die Weinfelder.  

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Der Felsrücken der Ste Victoire zieht sich über den Hintergund. Der Höhenzug fällt sofort ins Auge und jeder, der einen Cezanne gesehen hat, wird den Berg sofort erkennen und auch, wenn er die Pinien und die Schraffur ihrer Äste sieht verstehen, warum man sie gar nicht anders malen konnte. Vom Auto bei Tempomat 82 ist das ganz eindeutig. Noch ein Schluck aus der Wasserflasche  zwischen den Sitzen. Pinien bilden keinen Wald, sie sind eine riesige, semitransparente Plantage. 30 Grad im September sind weniger als 39 im August, es reicht, um müde zu machen.

Die kleinen Tomaten vom Straßenstand übertreffen alles, was ich in Deutschland unter dem Etikett Bio kaufen kann an Geschmack, Süße und Dichte.

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Raoul Dufy, Provencalische Landschaft

Die Farbe der Erde ist ockern und die Felsen darunter sogar beinah orange.  Die Häuser variieren Pastelltöne, aus dem Stein kann man gute Pigmente gewinnen. Das Dorf Cotignac baut sich unter einer schroffen Felskante auf, eine Troglodytenfelsmauer hinter dem Dorf. Es sind viele Eindrücke, so viele, daß ich beinah vergesse, warum ich hier bin.  

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Hinter mir steht das blaue Rad.  Zwei Matratzenstücke (federkern) und ein Kopfkissen warten, falls sich nichts findet. Aber Gaspard Keonig hat mir Mut gemacht, die Solidarität der Menschen ist eine Tatsache.

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Ich bin in Cotignac und ausser Gesichtsmasken, die viele bei sich führen deutet nichts mehr auf das Virus CoViD. Die Inzidenz der Region ist hoch, aber die Region ist groß und Cotignac ist nicht der rechtsfreie Raum von Marseille. Hier ist das Bild intakt, das Bild der kleinen provenzalischen Stadt mit dem Markt, den Restaurants und dem entspannten Flair eines ewigen Sommerurlaubs. Mit etwas Mühe finde ich in den verwinkelten Gassen einen freien Parkplatz und das nächste, was mir beim Blick auf den Cours – den zentralen Dorfplatz – auffällt, ist ein Rennrad mit Randonneursgepäck.

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Auf einer Bank sitzt Ralf  und Ralf sucht eine Unterkunft. Bald scrollen wir  booking com Angebote durch. Er ist aus Genua über die Alpen gekommen- mit dem Rad, das neben uns steht. Ralf ist müde, vielleicht unschlüssig. Auch ihn lockt der 1000. Wir sehen eine Unterkunft in einem Nachbarort, auch wenn booking com eine recht kryptische Vorstellung von Geographie vermittelt. Die Beschreibung der unterkunft ist eher vage – mit einer umgebauten kleinen Garage hatte ich nicht gerechnet. Sicher haben nicht einmal die Anbietern die Bezeichnung Gite des Templiers ernstgemeint.

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Zwei Stunden später verlasse ich Montfort sur Argens (sehr schöne Burganlage auf dem Berg, da gehören die Templer hin) und kehre nach Cotignac zurück.

Das Autothermometer zeigt immer noch 30 Grad und ich verlasse den Ort nach Norden, wohin die Straße ordentlich und in Serpentinen ansteigt und man die Rümpfe zweier Burgfriede über die Ebene ragen sieht. Oben, an der Kreuzung nach Sillans ist ein Schild zu sehen.

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Zwanzig Minuten später zeigt man mir kühles, schönes Zimmer, das auf dem Hof noch frei ist- la Source St. Martin liegt auf der Höhe, ein frischer Wind kühlt mein verschwtztes Polohemd und gleich an der Einfahrt findet sich tatsächlich eine Quelle, aus der frisches, klares Wasser kommt. Ich habe Glück und lasse meinen Blick über die Hügelketten im Süden schweifen.

Jetzt noch den Startort finden, das Rad fertigmachen.

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„Sie müssen nur an den Mülltonnen links hochfahren und den Nummern an den Briefkästen folgen“

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Es ist ein Anstieg von vier Kilometern, erst auf einer schmalen Straße auf und ab dann nach dem letzten Haus ein scharfer Anstieg, der Weg ist mittlerweile eine  improvisierte Betonbahn und führt mitten in eine Wildnis von Pinien.

Dann das Schild: le 1000 du Sud . Auf einer Ranch soll alles beginnen . . .

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2 Antworten zu Dans le 1000

  1. randonneurdidier schreibt:

    Lieber Christoph, ich lese Deinen Beitrag spät, dafür umso intensiver. Über eine Gegend, die mir ans Herz gewachsen ist, eine zweite Heimat. Geheiratet habe ich dort… Du nimmst michnochmal mt dorthin .Danke dafür🍀

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