Der Tag vor dem Tag
Diesen Weg, den eine Radwanderkarte nur als graveltauglich ausweisen würde, haben Autos schon lange bewältigt. Auf mehrere Schuppen verteilt, entdecken die Ankömmlinge des 1000 du Sud gleich mehrere historische Modelle der Firma Citroen.
Dieser 15 CV ist aus eigener Kraft die enge und holprige Bahn hinaufgekommen, Ahnherr des illustren Fuhrparks rundum…mehrere XM, eine DS als Kombi, viele Fahrräder.
Im letzten Jahr haben die Veranstalterin Sophie Matter und ihr Lebensgefährte, den ich hier einfach Monsieur Citroen nenne, mehrere Holzgebäude geschaffen, die jetzt den Superbrevet 1000 du Sud beherbergen. Ein Schuppen für Sanitäranlagen, ein Schlafzelt und eine Art Waldküche mit Tischen, Koch- und Spülgelegenheiten. Alles an einem Ort der wirkt, als gäbe es noch nicht lange fließendes Wasser.
Wir nehmen vieles einfach als gegeben an – hier sieht man, wofür man dankbar sein muß. Ich bin schon einen Tag vor dem Start angekommen, häuslich eingerichtet an der Source St. Martin, dem Hügel gegenüber. Der Start findet in zwei Gruppen statt. Die erste startet Montagabend um 20h, ziemlich genau zu Sonnenuntergang. Je früher ich starte, desto eher bin ich zurück, so mein Gedanke…
Es sind schon einige Räder zu sehen, rund um den Tisch wird deutsch gesprochen; Daneben ist eine riesige Landkarte wie in einem Klassenzimmer aufgestellt. Darauf ist der Parcours abgezeichnet, genauso, wie ich ihn in meinem Michelin Atlas nachgezeichnet habe – auf einer Tafel wirkt er nur unendlich viel größer. 100 Stunden denke ich, natürlich kann man auch länger brauchen, aber das Ziel ist 100 Stunden für 1000 Kilometer, wenn ich am Wochenende wieder zurückfahren will. Ich habe kein wirkliches Gefühl für diese Dimension.
es ist angenehm hier zu sitzen und sich mit Bernard – Mr Citroen- über seine Sammlung interessanter Modelle zu unterhalten. Eines davon gibt es auf der Erde nur einmal, seltener als eine Apollo Kapsel. Er sagt: 20 Jahre habe ich darauf gewartet…. Es waren immer Autos, die niemanden kalt liessen. Und heute, in der historischen Perspektive geht es mir nicht anders.
Er hat die Provence Randonneurs ins Leben gerufen, eine Paris Dakar bestritten und vermutlich könnten wir den ganzen Abend über seine Radreisen reden. Jetzt aber, am Ende einer automobilen Epoche – jedenfalls mehren sich die Zeichen – macht es Spaß über die Entwicklungslinien der Gattung zu reden, ihre Experimente und Glücksfälle. Über die großen Schritte einer Evolution, die allmählich eine neue Art braucht.
Mit dem Rad sollte ich mich auch noch beschäftigen. Was mitnehmen und was nicht? Wie schwer kann man sein, damit es nicht zur Qual ausartet.
Eine ganze Nische an Zubehören ist da in den letzten Jahren entstanden und das grüne Rad, das in meinem Gite stand bildet den state oft he Art: Carbonfelgen, Carbonrahmen und eine Geometrie, die die Aufnahme der diversen Taschen gestattet, die sich seit 6, 7 jahren immer weiter vermehren.
Es gehört Christine, die aus Nizza heraufgeradelt ist.
Anders dagegen bei mir, es ist das blaue Koga, mit dem ich in diesem Frühjahr so viel unterwegs war. Weil es doch schneller dunkel wird und wir mehrere Tage unterwegs sind, habe ich den Nabendynamo mit dem entsprechenden Licht angebracht. Die Pedale sind aus dem MTBbikeregal – zweiseitiger Einstieg kann in kniffligen Situationen ganz praktisch sein.
Die Hauptfrage aber dreht sich hier eigentlich ums Gewicht, denn es stehen 20 000 Höhenmeter auf dem Programm, viele Kleine und einige große Alpenpässe. Sehr hohe Alpenpässe. Jedes Gramm ist auf dem Weg nach oben wichtig, kostet Substanz. Ein alter Stahlrahmen bringt 1 Kilo Handicap, – das kritische Gewicht jedoch macht (neben dem eigenen) das Gepäck, die Anzahl an Taschen und ihr Inhalt. Wer diese Tour mit 12kg bei leeren Flaschen antritt, hat das Optimum herausgeholt. Und das ist nicht einfach, gerade ohne Erfahrungswerte. Auf dem Parcours herrschen durchaus Temperaturdifferenzen von 30 Grad zwischen einem warmen Tal und einem Gipfel, abends wird es sehr schnell kalt und man muß auch eine Weile im Dunkeln fahren – ab 20h. Und Regen kann es immer geben. Ein kniffliges und individuelles Puzzle.
Einige lösen es, indem sie den Parcours genau mit Hotels abgesteckt haben- dann spart man nicht nur einen Schlafsack, auch Wechselwäsche kann minimiert werden: die Hose ist am morgen wieder trocken. Wie man sieht gibt es Details, die alles ändern.
Was ich jetzt sehe, ist das ausgesprochen milde Licht im Schatten der Pinien. Und der leise Windhauch, der über die Anhöhe zieht. Wir sind in einem kleinen Universum hier oben, alles, was die Mühlen der Medien mahlen ist weit weg, wirkt völlig unbedeutend. Hier geht es nur um vergangene und zukünftige Radfahrten, um Erlebnisse und wie man sie meistert.
Auch wenn mehrtägige Brevets meist einsam und allein bestritten werden: nicht wenige hier kennen sich aus vorigen Abenteuern oder werden sich gleich (und morgen noch) an den Tischen der Restaurants auf dem Cours von Cotignac noch besser kennenlernen. Und die Tische sind gut gefüllt an diesem Sonntagabend, bunte Farben, lange Sommerkleider senken sich über die Stühle ringsum.
Der Tag X
Unser Frühstück ist ein Festival selbst hergestellter Marmelade: Mispel, Feige, Pfirsich, Kirsche, lauter Dinge die hier wachsen und geerntet und in einem großen Kupferkessel gekocht werden. Alles von der Maitresse de Maison vorbereitet. Mit zwei Teilnehmern des „1000“ genießen wir. Letzte Ausrüstungsgegenstände werden betrachtet.
Ich habe sehr gut geschlafen, der Roman eines depressiven Mittfünfzigers ist genau das Richtige. Houellebecqs Serotonin setzt eine gut ausgebildete Seele voraus. Sein Stil ist gekonnt, die Sprache präzise und immer wieder von bösartiger Ironie und Sarkasmen durchzogen. Nicht mit Zynismus verwechseln, da ist etwas durchaus romantisches an diesem stark pornographisch gelabelten Autor. Andere beschreiben stundenlang das setup ihrer Fahrräder, die Wahl der richtigen Schaltung: eine Obsession ist eine andere wert, in der sexuellen steckt immerhin ein starker Wunsch nach menschlicher Nähe. Auch die spottgünstigen französischen Taschenbücher haben einen guten Satz, eine gute typo, es liest sich dahin, den 1000 hatte ich fast darüber vergessen.
Es ist ein schöner, warmer Tag, ich werde nach Cotignac hinunterfahren und Leute treffen. Leute, die die ganze Tour schon einigemal hinter sich gebracht haben. Vielleicht komme ich der Sache näher, vielleicht kehre ich mit der Formel wieder, mit der ich die Sache angehe, die Formel , zur transzendierenden Übung, die der 1000 du Sud ist….
Ich bin gespannt, wie die Fahrt wird. 1000km in 100 Stunden, unvorstellbar für mich. 300km in 3 Tagen fuhren wir letzte Woche, das war mir angenehm und erschöpft war ich danach auch.
Niemand braucht sich Sorgen zu machen . . .