Über den Esterel

Über den Esterel – eine Notiz

 

be0Die letzte Steigung in der Mittagssonne ist geschafft, jetzt kommt endlich die kühle Luft der Abfahrt, als ein junger Mann mit Funksprechgerät mich mitten auf der Straße anhält. Ich möge bitte fünf Minuten warten. Verdutzt halten auch die folgenden Automobilisten und die Ventilatoren ihrer Klimaanlagen veranstalten ein mehrstimmiges Konzert. Im Schatten einer Pinie trinke ich und schäle meine letzte Banane. Es herrscht völlig Ruhe, nur unterbrochen, wenn der Thermostat erneut einen Ventilator anspringen lässt.

Das Esterel-Massif ist eine Hügellandschaft, die von der Küste des Mittlemeers gleich auf ungefähr 400 Meter ansteigt. Auf der Landkarte kann man es für ein ausgedehntes Waldgebiet halten. Tatsächlich überziehen struppige Bäume überall die kleinen Falten und Schluchten der ockerfarbenen Erde, an der Landstraße spenden größere Pinien Schatten. In einem Supermarkt von Cannes-La Bocca habe ich mir die Situation grob auf einer Landkarte angesehen.  

Es gibt nur diese Straße, die durch die Halbwildnis hindurchführt, die alte Nationale 7. In La Napoule heißt sie D6007 irgendwann DN7, doch es ist immer dieselbe, schöne Route, die sich  verlassen am Nordrand des Esterel entlangschlängelt. Seitdem es die A7 gibt – und die Corniche – ist sie so etwas wie ihr eigenes Museum. Hunderttausende, die hinwegzogen hinterliessen keine Spur.

Aber das Esterel ist weniger wild und einsam, als eine Karte vermuten lässt. An allen Hügeln entdeckt der schweifende  Blick Häuser, Domänen, Anwesen. Dazwischen kleine Dörfer. Direkt an der Straße fallen immer wieder eindrucksvolle Portale auf,  die mit Steinlöwen und Überwachungskameras besetzt sind: Privatland –  gated communities.

Die Vorstellung malt sich eine geheimnisvolle Gemeinschaft kosmopolitischer Privatiers und offshore- Existenzen aus, deren Geld erfolgreich gearbeitet hat (und es weiter tut). Die indigene Bevölkerung verfügt als Hoflieferant diverser Dienstleistungen temporären Zutritt. Sie sorgt für die irdische Funktionsfähigkeit dieser komplexen sozialen Gebilde und bewahrt das Siegel des Schweigens. Nur Waldbrände haben sie zu fürchten. So denkt es sich der Romancier.be2

Die Steigungen und die Hitze haben mir zu schaffen gemacht, dabei sind es noch 100 Kilometer bis Cotignac und ich bin seit gestern 2000h auf dem Rad. Bewegung in der Autoschlange – der Grund dieser kleinen, privaten Verkehrssperre wird sichtbar. Zwei Autos tauchen auf, das eine folgt dem anderen in dichtem Abstand. Auf dem vorderen Wagen ist ein Auslegekran befestigt, an seinem Ende eine schwere Videokamera. Wir dürfen und folgen dem Gespann zu Tal.

Das Rad rollt beinahe so schnell wie die Autos, und so kann ich jede einzelne Bewegung der Kamera verfolgen. Das Objektiv nähert sich dem Kühler, vereint sich mit dem Emblem,  dann filmt sie von oben, von der Seite,  umtanzt das fahrende dunkle Automobil wie ein Insekt, das nach der richtigen Stelle sucht, um sich niederzulassen. Aber die Kamera läßt sich nicht nieder,  sie nähert sich, entfernt sich und der Reigen findet seinen akrobatischen Höhepunkt,  als das Objektiv die vordere rechte Felge in voller Fahrt zu küssen scheint. Vermutlich haben sie auf Superzeitlupe eingestellt. Ich schreibe das als Radwanderer zu Beginn des 21 Jahrhunderts, im Jahrzehnt der Verkehrswende.

be3Als ich den Kopf hebe, sehe ich kurz den blauen Streifen des Mittelmeers, einen Turm, vielleicht den Leuchtturm von Frejus oder der Bucht von St Raphael. Der Fahrtwind lüftet das duchschwitzte Trikot, aber bis Frèjus wird er mich nicht tragen.

Meine Reise nach Süden endet gleich: ich muß wieder nach Norden –   ins Hinterland  – und verlasse den Esterel mit der nächsten Straße…

be4Unter dem Fragment eines römischen Aquedukts hindurch erreiche ich bald die große Ader der A7, finde eine Brücke und das Schild Barjols-en-fôret weist mir den Weg. Auf einer Motorhaube leigt ein Soldat in der Sonne. Der schwere Truppentransporter gehört zu den Einheiten, die das Übungsgelände ringsum nutzen. Hindurch zieht sich die zweispurige Straße.  

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2 Antworten zu Über den Esterel

  1. monnemer schreibt:

    Auf der DN7 ist man gegenüber der Corniche fast schon einsam unterwegs. Die Einsamkeit lässt sich aber noch steigern:
    mit dem (Renn-) Rad kann man auch direkt durch das gänzlich unbebaute Herz des Esterel fahren, traumhaft schön. Die Forststraßen sind geteert und in einem passablen Zustand. Am größten dürfte der Kontrast zwischen dem Irrsinn an der Küste und der Stille des Esterel sein, wenn man fast direkt an Pierre Cardins Bubble Palace in Théoule-sur-Mer abbiegt und über den Col de Théoule das Elend verlässt.

  2. crispsanders schreibt:

    Vielen dank für die Empfehlung. nachher ist man ja immer schlauer – à bon entendeur salut!

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