Die Säulen der sogenannten Inflation

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Ein längerer Text, in dem kein einziges Rennrad vorkaommt – dafür aber das Rad der Welt.

Ungleichgewichte, Wachstumskonkurrenz und die Wolke der Klimakrise – über die neue, nächste Phase der Globalisierung

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Die Inflation ist ein Gespenst, doch vor allem ein Gummibegriff. Steigen Preise mehr als gewohnt, wird gleich die Keule Inflation aus dem Arsenalk der Drohbegriffe geholt. Durch sie kann das gleiche Phänomen von zwei Seiten zur Katastrophe stilisiert werden. Steigende Preise und damit Entwertung des Geldes. Wobei Entwertung des Geldes nicht gleich Geldentwertung ist, da fangen die Unschärfen schon an. Daß bei steigenden Preisen das Geld an Wert ist logisch, denn für denselben Euro bekommt man weniger als gestern. Über steigende Preise kann man kaum verhandeln, sie stehen auf Tafeln und kleinen Displays, die ferngesteuert jede Sekunde verändert werden können. Viel schneller, als Konten nachgefüllt oder Tarifverträge abgeschlossen werden. Steigende Preise allein sind jedenfalls keine Inflation. Dennoch wird täglich vom Gespenst gesprochen.

Das Gespenst geht so: wenn Du mit vielen Scheinen in deiner Brieftasche morgen fast nichts mehr bezahlen kannst, dann war über Nacht die galoppierende Inflation am Werk. Es gab solche Zeiten in Deutschland, sie werden immer wieder raunend erwähnt. Zeiten, in denen der Lohn Freitags in einer Tüte ausgezahlt wurde, die eine Woche später eine Schubkarre war und, wenn man Glück hatte, gerade für ein Kilo Kartoffeln reichte. Oder  als man für eine Reichsmark schlichtweg gar nichts mehr bekam – weil sie keiner wollte. Das hat es wirklich gegeben, das war komplett verrückt, das Sparbuch war nur noch Papier und der Kreditspekulant ein reicher Mann. Zahlte die Million und dann gehörte ihm das Haus, während andere damit eine Butter holen gingen. War wirklich so, war aber nicht unsere Wirklichkeit.

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Unsere Wirklichkeit sieht gerade steigende Preise, ja, aber nicht überall und Preise steigen nicht einfach wie Ballons in den Himmel. Die Gehälter und Löhne (also die Preise für Arbeit) sind stabil, einmal im Jahr wird verhandelt, und auch da geht es immer nur um einen kleinen einstelligen Prozentsatz. Preissteigerungen für die meisten Güter sind übers ganze gesehen eher klein und einstellig. Preise und Löhne befinden sich in relativem Gleichgewicht, eine Lohn-Preisspirale gibt es nicht.

In der jetzigen,sogenannten Inflation steigen die Preise schon, teilweise empfindlich, aber eben nicht überall. Und sie steigen aufgrund von Marktungleichgewichten, die mehrere Ursachen haben, nicht aber wegen eines volkswirtschaftlichen Bankrotts wie beispielsweise  dem in Argentinien vor einem Jahrzehnt oder in Deutschland vor hundert Jahren.

Die Mechanik der aktuellen Preisanstiege hat verschiedene Treibsätze, die unabhängig voneinander den Preisanstieg bestimmen, besser gesagt, aus deren Wirkung die jetzige und zukünftige Inflation entsteht.  

1 das billige Geld

2 die Nachfrage nach Energie und der steigende Preis der Verbrennung

3 die  Knappheit organischer und anorganischer Rohstoffe

4 die Krise der Grundnahrungsmittel

5 die Kaufkraft der Emerging Nations, der Wettbewerb des Wachstums

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Im Vergleich zu unserer Welt waren die 1920er recht übersichtlich, der Club wichtiger Industrieländer klein und überschaubar. Es gab zwei Leitwährungen, von denen die Ältere, das Pfund, nach dem ersten Weltkrieg dramatisch an Wert verlor –England hatte sich gewaltig verschuldet um seinen Rang zu halten. Der Dollar war der neue und unangefochtene König. Im seinem Schatten Pfund, Franc, Lire, Peseten, Reichsmark: alles in ihrem Verhältnis durch die nationalen Goldvorräte festgelegt und begrenzt. Nur Deutschland legt die Fesseln ab und begibt immer neue Staatsanleihen, um Schulden sowie Strafzahlungen des ersten Krieges zu begleichen. Man tilgt die Kriegsschuld (ein Nennwert), indem man einfach das Geld entwertet. Das war das Grundparadigma der großen Inflation in einer gerade wieder stabilisierten Welt von 1920. Das war eine echte, aktive Geldentwertung mit steigenden Löhnen und Preisen – eine große Inflation.

Im Vergleich dazu befinden wir uns, 100 Jahre später, in einem erheblich komplexeren Umfeld, es ist als Globalisierung bekannt. Auch wenn der Dollar unter anderem als Verrechnungseinheit des Ölhandels immer noch die Leitgröße ist, stehen Konkurrenten an. Die Wirtschaftskraft des Euros, des Yen und des (unkonvertierbaren) Renminbis sind erheblich größere Bälle in der Luft, als es Pesete Franc und Lira zusammen waren. Den Rubel einfach noch dazu denken und es ist klar, wie diffus der Begriff „Währung“ geworden sowie deren Steuerung seit Freigabe der Wechselkurse . Finanzen aber stehen am Anfang und am Ende der Kreislaufwirtschaft und diese sind seit einigen Jahren billig, sprich, der zinssatz für Zentralbankgeld ist weltweit eigentlich Null.  

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1 Interessanterweise ist billiges Geld kein gutes Zeichen, denn es bedeutet teure Güter. Wenn die Zentralbanken der obengenannten Währungen ihren Banken „neues“ Geld zum Nullzins „verkaufen“, dann ist das zuerst einmal eine Rettungsmaßnahme für Finanzmärkte und Geldinstitute – die Kreditkrise von 2009 hat es gezeigt. Wer Geld verschenkt, will, daß es eingesetzt wird. Dumm nur, wenn Geld kein Geld verdient,  also der Zins für Kapitalanlagen so niedrig ist, daß er die Knappheitsverhältnisse der Gütermärkte nicht mehr bepreisen kann. Hier ist ein Gap.

Wenn Geld kein Geld mehr erwirtschaftet, versucht das überschüssige Geld durch Gütererwerb einen Mehrwert zu erzielen. Biliges Geld gleich viel Nachfrage -also hohe Preise. Wenn auf dem Flohmarkt alle Käufer die Taschen voller Scheine haben, dann wird alles teurer. In unserem Flohmarkt sind es die Immobilien und langfristigen Wertanlagen, die Güter, von denen man sich einen dauerhaften ertrag verspricht, also Anlage- und Investitionsgüter (nicht etwa das neue i-phone).

2 Die Ideologie des Wachstums hat eine bedingungslose Konsequenz: es muß von allem immer mehr geben, sonst geraten Gleichgewichte ins rutschen. Die Pandemie hat zu einem weltweiten Stopp der Produktion geführt, der in gewissen Sektoren immer noch anhält. Ein realwirtschaftliches, globales Ungleichgewicht Jetzt rennen alle gleichzeitig wieder los,  als gelte es, als erster die alte Produktivität wieder zu erreichen. Folge: es kann nicht alles auf einmal geben, es kommt zu Staus, Nachfrageüberhängen, neuen Ungleichgewichten und damit wilden Preisspiralen. Für die arbeitsteilige, globale Welt ist das eine Katastrophe. Wenn es eine feste Menge an Containern gibt und alle wollen ihre Container als erste gefüllt bekommen, werden Container nicht nur etwas teurer, sondern geradezu unbezahlbar, weil es sie schlichtweg nicht gibt.

Genauso wie man sich nicht vorstellen konnte, daß RohÖl 2019 einen negativen Preis bekam, weil es ungelöscht vor der Raffinerie verblieb, kann man sich jetzt nicht vorstellen, daß Hableiter einen Preis von positiv Unendlich erreichen, weil sie noch nicht hergestellt sind. Diese Situation ist zwar bekannt, aber sie ist völlig unbererchenbar – niemand weiß,  wieviele Waren wegen steigender Frachtkosten noch exportiert werden (die Kalkulation im Empfängerhafen ist zusammengebrochen), oder gar nicht erst nachgefragt werden. Niemand weiß,  wie lange der Überbietungswettbewerb anhält, niemand weiß, wie die aus dem Takt geratene Welt-Produktion von Gütern anhält – aber er ist da und es gibt keine regulierende Instanz, die ihn definitiv lenken könnte. Diese Folge der Pandemie ist also eine völlig neue Form der Inflation, die auf einem Mangel an Ware beruht, der eindeutig temporär ist – die aufblasbaren Pools werden im Sommer wieder anschwimmen.

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3 weniger temporär ist eine Inflation, die auf steigenden Rohstoffpreisen beruht. Zunächst die Rohstoffe für Energie: Gas, Erdöl, Kohle. Man mache sich nichts vor, die Windkraft hat ein dekoratives Dasein im Welt-Energiemix und über die Atomkraft breiten wir einstweilen das große Tabu. Die genannten Rohstoffe erster Ordnung haben nämlich auch diese hervorragende Eigenschaft: sie sind mobilisierbar, man kann sie in Schiffen und Zügen transportieren, über Kontinente hinweg. Oder auch nicht. Australien stellt Kohlelieferungen nach China ein: der Strom aus Kohlekraftwerken wird rationiert, Energie in der Werkstatt der Welt plötzlich ein rasend teurer Faktor – mit Folgen für den Rest. Europa sanktioniert Russland wegen des Krim-Raubzugs, ist aber gleichzeitig auf Erdgas Lieferungen angewiesen? Der Preis steigt,  da es einen Hahn gibt, an dem nur einer drehen kann. Diese zwei großen Preissschübe sind absolut keine Inflation im obengenannten Sinne, sie ergeben sich aus einem ganz anderen Faktor: der Verknappung von Rohstoffen und die Konkurrenz darzum. Ganz ähnlich ist es mit der nächsten Komponente

4 Manche mögen es als Bestätigung für „den“ Klimawandel sehen, andere als unglückliche Verkettung von Ereignissen. Fakt bleibt: die Erntemengen einer Reihe von Grundnahrungsmitteln waren nicht gut. Obst- das sehen wir selbst am Apfelbaum. Aber Kakao, Kaffee und Getreide/ Soja, das bekommen wir dann später zu spüren. Dazu ist die Herstellung unserer komplexeren Nahrungsmittel wie Geflügel, Schweinefleisch oder auch Milch sind dabei auf den Zukauf von Grundstoffen angewiesen. Kraftfutter wächst nicht auf unseren Äckern, da wachsen – die Polemik sei erlaubt – Grünmaissorten zur Erzeugung von „gutem“ Ethanol. . . Die Kombination von Ernteausfällen und gestiegenen Energiepreisen wirkt dann als ein Katalysator für alle Nahrungsmittelpreise. Wenn man so will, wird die biologische Preiserhöhung von einer politischen begleitet. Leider spricht vieles dafür, daß sich global ändernde Klimabedingungen nicht schnell über ein Vierteljahr durch Substitute auffangen lassen – beispielweise mit anderen Soja- , Mais- oder Weizenarten. Geschweige denn die Folge des Wassermangels. Diese „Inflation“ wird in ihren Ursachen kaum durch politische Verständigung zu steuern sein. Sie wird sogar zunehmen , weil

5 die Kaufkraft aller Länder untereinander um diese Grundstoffe konkurriert. Da verhält es sich ähnlich wie mit den konkurrierenden Währungen, deren Notenbanken immer schwieriger eine Abstimmung untereinander erreichen können. Wer den höheren Preis zahlen kann, der bekommt. Es ist zu befürchten, daß sich diese Entwicklung nicht verringern wird. Schlechte Aussichten für den Hunger in der Welt, wenn Mais für den europäischen oder amerikanischen Kühlschrank reserviert bleibt.  Aber das ist eine andere Thematik, noch ist unser Geld so viel wert, daß dieser Konkurrenzkampf  (wenn auch zu höheren Preisen) für unsere Schokoladentafelberge und Nikolauspyramiden im Oktober zu unseren Gunsten entschieden wird.

Möglich ist aber auch, daß es mit dem billigen Kakao und Zucker irgendwann vorbei ist. Keine stündliche Schokolade mehr, das droht uns.  Schlecht wäre aber in der Tat, wenn aus dem sozial beliebten urban gardening ein urban farming like it‘s 1947 werden müsste – wenn also die Wertlosigkeit des Geldes dazu führte, statt in Lohnarbeit wieder für die eigene , sehr biologische Kartoffel ackern zu müssen. Natürlich eine Karikatur, denn träfe sie ein,  wären grundstoffmärkte  außer Rand und Band. Gärtnern ist trotzdem ok und vor allem eine gute Option für die eigene Gesundheit.   

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Die Lage

Die Preissteigerung(en) des letzten Quartals 2021 ist keine Inflation alten Stils, bei der die Geldmenge ständig mitwächst (sich aufbläht) oder Folge der Abwertungsentscheidung von Notenbanken ist. Sie scheint eher ein Zeichen multipler Knappheiten rund um den Globus, bei gleichzeitig billigem Geld, also großer Geldmenge plus einer Verkettung von Marktungleichgewichten  Zu einer wirklichen Inflation käme es erst, wenn die Lohn-Preisspirale als Folge einer aktiven Geldabwertung einsetzt. Wenn also die Preisentwicklung von Teilbereichen auf alle Märkte eines Währungsraums übergreift,  und eine gesamtwirtschaftlich unverkraftbare Steigerung von Lebenshaltungskosten von zB 20% durch entsprechende Lohnsteigerungen ausgeglichen würde, weil sonst Hauskredite, Autokredite etc. etc nicht mehr bedient werden könnten und das Konsumniveau überall einbräche.

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So ernst ist die Lage nicht, es sieht eher nach einer (riskanten) Neujustierung der Märkte und Produktionspreise aus, das Konsumniveau wird nur da und in dem Maß dauerhaft verschoben, wo sich zum ersten mal in 50 jahren die Folgen reeller Knappheit andeuten. Aber nicht bei unglaublich komplexen Produkten wie smartphones. Knappheit ist für uns vielleicht ungewohnt, für die übrige Welt der Normalfall. Fragt mal in Äthiopien nach der Anzahl der Shampoosorten. Wir , die globale Mittelschicht der „entwickelten “ Länder sind die Gruppe, die lernen muß, wieder mit Knappheiten zu leben.

Die Bilder zeigen das B5 designer-Outlet Center Dallgow im Jahre 2001. Nach einigen optischen Auffrischungen erfreut es sich – wie die Mitfahrer von hamburg-berlin 2021 feststellen konnten – bei den Kunden höchster Beliebtheit

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2 Antworten zu Die Säulen der sogenannten Inflation

  1. alex schreibt:

    Punkt 7.: …die mangelnde Weitsicht und Bereitschaft in eine stabile und damit sichere Zukunft zu investieren ist auch einer der Gründe. Profite werden ja heute nur über maximal kurze Zeiträume erwirtschaftet. Mit der Kurzfristigkeit entsteht eine zusätzliche und damit auch nicht zu unterschätzende Dynamik, die eben auf Grund dieser Dynamik nicht mehr kontrollierbar ist (aber was ist Schin kontrollierbar?). Genauso wenig wie man die Gewinne am oberen Ende der Bevölkerung kontrollieren kann.

    Dem kleinen Sparer werden Negativzinsen aufgebrummt damit er sein Geld nicht „bunkert“ und bei den oberen Zehntausend schwimmen sie in so viel Geld, daß sie es gar nicht (vernünftig) ausgeben können.

    Trotzdem einen netten Sonntag. 😉

  2. crispsanders schreibt:

    Die Kurzfristigkeit erfasst alle Schichten – Dr Oetker gefällt das.

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