Ich nannte ihr meine Telefonnumer und sah, wie der lange, etwas zu lange rosane Daumennagel zitterte. Gleichzeitig fielen blonde Haare zwischen das Display und ihre Hand. Ich mußte die Nummer wiederholen und drehte mich ein wenig bequemer auf die linke Seite. Sie stellt auf Lautsprecher.
Oft sind die Menschen nervös am Samstag. Jedenfalls ab 11 Uhr auf den Straßen, wenn sie alles zuhause klar gemacht haben.Sie haben dann das erste echte Frühstück der Woche genossen (viele „frühstücken“ unter der Woche unterwegs, oder gleich „bei“ der Firma), danach haben sie es eilig, es fehlt hier und da am Nötigsten..
Ich hatte es eigentlich nicht so eilig, es mußten nur ein paar Weihnachtsgeschenke her, aber das würde gehen, es fällt einem unterwegs viel ein. Ruhig seine Spur ziehen, während andere vorbeibrausen.
Es war ein grauer, sehr diesiger Tag, der dritte Samstag im Dezember – der Dritte Advent. Die Strecke über Wallmerod ausgesucht, Wallmerod, Berod, die lange Gerade am riesigen Tontagebau vorbei.
Zwei Mädchen sitzen am Straßenrand und schwenken eine Fahne. Es ist Jagd, sie wachen über den Verkehr (mich), die Leuchtwesten der Treiber verschwanden Richtung der alten Tongrube, wo die alten Erdhaufen wieder zuwachsen. In die große Grube nebenan würde eine kleine Stadt hineinpassen, in Streifen, wie die Buttercremeschicht in der Torte, erkennt man die unterschiedlichen Tonlagen. Ton, die Idee des Tages.
Eine Stunde später steht mein Rad vor einem langen, flachen Gebäude im Stil öffentlicher Bauwerke mittlerer Kommunen: das Töpfermuseum in Höhr-Grenzhausen, Zentrum des Deutschen Ton-es. Die lange Glasfassade gewährt Einblick in die von Oberlichtern aufgehellte Ausstellungshalle.
Ich betrete eine großen Raum, der viel heller als das trüber Wetter draußen wirkt und viel weiträumiger als die Animation der Homepage. Direkt vor mir die Kasse, links und rechts davon Schaukästen und Regale mit verschiedenen Werkstücken. Die Exponate der Ausstellung verschwinden in der Tiefe des Raumes.
Es würde sich etwas finden lassen. Alles hier ist Handarbeit und kleinste Serienfertigung – hinter jedem Objekt ein Name, eine kleine Werkstatt, Jahre der Übung.
Die Gefäße und Schalen sind sich ähnlich, aber dann durchweg verschieden, endlos viele Stufen von grau zu weiß, wenn man genau hinschaut. Für dieses Material braucht man Zeit, wir sind so viel buntes gewohnt. Man berät mich gern, hier ist man ganz unter sich.
Keramik ist eine Sache von Nuancen, Zwei Schalen in Seidenpapier eingewickelt und im kleinen Rucksack verstaut, noch ein wenig Luftpolsterfolie von der Kasse – sie wird nutzen. Durch die Glaswand sehe ich das Rad, es wartet geduldig und ich muß weiter – über den Limes zum Rhein.
Der hohe Nebel ist am Rhein fortgeblasen und die Luft wie immer eine Spur wärmer. Die großen Schiffe tuckern auf dem gut gefüllten Strom. Nur ein kurzer Abstecher, dann geht es wieder zurück.
Über den alpinen Aufstieg: hinter Sayn, vorbei am Schloß führt die Serpentine eine Wand hoch, die den Westerwald von der Ebene trennt. Vorsichtig angehen, das schwere Stück kommt am Schluß, wenn es hinter dem Limes Schild noch einmal steiler wird.
Und dann ist der Nebel wieder da und es sieht nicht so aus, als hätten die Christbaumverkäufer von Asbach viel Freude an ihrem Tag. Nur der kleine Randonneur zieht fröhlich vorbei, die Wand von Sayn ist gemeistert, der kleine Rucksack gut mit Dingen gefüllt, die Freude machen werden.
Jetzt noch die kleine malerische Waldpartie, bald werde ich die Lichter anklemmen müssen. Eine lange Gerade geht es zum Bahnhof Dernbach hinunter, weit und angenehm schnell. Weiter unten, wo die Kurve beginnt, steht ein kleiner Mini und wartet, die Räder sind eingeschlagen, im Leuchtring des Scheinwerfers blinkt es. Die großen Augen des Mini sehen mich – er wartet auf mich, schwupp, gleich bin ich dran vorbei: Und da ist der Leuchtring direkt vor mir, der Kühler des Mini bewegt sich gerade auf mich zu, der Blinker ist das letzte, was ich von ihm sehe. Ich fliege, -drei Monate kein Rad mehr fahren, der Asphalt hat eine eigenartig grobe Struktur, wenn man ihn von ganz nah betrachtet. Ich höre, wie mein Helm schleift, das Geräusch des Aufpralls ist weit hinter mir.
Ich liege auf der Straße, ich bin gelandet. Die rechte Seite ist ein langer Schmerz.
Vorsichtig drehe ich mich auf die andere Seite, so, als wollte ich gleich weiterschlafen auf dem nassen Asphalt. Geräusche, welche genau kann ich nicht sagen. Zuerst bewege ich das Bein und den Oberschenkel –die Hüfte tut wirklich weh – dann den Arm, die Schulter, die noch stärker schmerzt. Aber ich kann es bewegen, ohne daß der Schmerz zunimmt. Ich kann klar denken und alles bewegen und es ist der dritte Samstag im Dezember.
Dann sehe ich die getönten blonden Haare vom Mädchen mit den langen rosa Fingernägeln. Sie sieht mich entsetzt an und sie könnte meine Tochter sein. Ihre Finger zittern, als ich ihr die Nummer diktiere und inzwischen stehen auch andere Menschen um uns herum. Eine Frau ruft: bleiben sie liegen, bleiben sie liegen. Ich telefoniere im liegen und das beruhigt: abgeholt werden beruhigt.
Und als ich fertig bin, bitte ich die anderen, die sich jetzt zu mir beugen, mich vorsichtig hochzuheben. Erst wollen sie nicht, aber ich will nicht länger auf diesem kalten, nassen Asphalt mitten auf einer Straße liegenbleiben, bis irgendeiner mit der Bahre kommt. Es klappt, ich kann stehen. Der Rucksack ist heile geblieben – keine Scherben und trotzdem Glück.
So ist das, wenn Du einen Unfall hast, niemand denkt sich etwas, es passiert einfach und eigentlich weiß man nicht einmal genau, was geschieht, man wird sein eigener Passagier. Nun stehe ich da und warte, bis die anderen kommen. Es ist nichts gebrochen, ich könnte ja sonst nicht stehen und gehen. Die goldene Folie schützt ein wenig und ich kann die Frau beruhigen – vielleicht hat sich alles vor ihren Augen abgespielt. Das Auge wird blau und schwillt an, aber es ist ok, keine Schwindelgefühle. Das Rad ist hin, aber das merke ich erst später beim Einladen, wenn sie alle wieder weg sind, die mit und ohne Blaulicht.
Alter Schalter. Schön das du noch Zeilen verfassen kannst! Der Dezember ist ja schon lange rum, so hoffe ich das alles wieder verheilt ist. Beste Grüße Toni
Braucht kein Mensch, schade um die wahrscheinlich schmerzende Weihnachtszeit und das schöne Rad. Aber gut, dass ein Helm die scharfe Beobachtungsgabe geschützt hat! Gute Besserung falls noch nicht alles verheilt ist und viel Erfolg bei der Suche nach einem weiteren Stahlrad!
Dank für die Wünsche – und ja: ich wollte nochmal diesen schönen Rahmen zeigen, bevor er wieder eingeschmolzen wird. Es gibt Ersatz in Champagnerfarbe, das gute Gefühl ist zurück, auch wenn es noch eine Weile in der Schulter zwicken wird.