Feldbergtaufe im Februar

aa1Die Farbbezeichnung Champagne ist eher schmeichelhaft, wie man an der Ähnlichkeit zu diesem schönen Lehmfachwerk sieht. Dieser zurückhaltende Bronzeton leuchtet nicht ganz so lyrisch wie das lagunenblau des verflossenen Raleighs, vielleicht etwas gedeckter hätte der alte Hosenverkäufer gesagt, etwas ziviler. Das Raleigh war hin, gestaucht und verbogen, das Kapitel geschlossen, lange schon hat der Hosenverkäufer seinen letzten Konfirmandenanzug verkauft.

Dies hier, ein 82er gents-touring von Koga Miyata nun einen Hauch anders als das Lagunenblaue, eine Prise länger und höher, etwas schwerer auch (12kg)-aber ruhig und solide. Was man vielleicht nicht sieht: alles ließ sich viel einfacher montieren und so viel wie möglich wurde vom Raleigh gerettet, und das war nicht wenig.

a2Anfang der 1930er Jahre war die Tour durch die Interessen der Werksmannschaften derart „degeneriert“, daß die Rennleitung den Fahrern ein gelbes Einheitsrad vorschrieb. Nur Sattel und Lenker durften individuell gewählt werden. Und weil Sattel und Lenker hier direkt vom alten Rad stammen, könnte es ein Grund dafür sein, warum man es so schnell adoptiert, das neue Winterrad.

ar1Die eigenen Prellungen und Stauchungen sollten auch einmal ausgezogen und geradegebogen werden. Ausgerechnet in diesem trübsten, grauesten und nieseligsten Januar überhaupt. Die Einschränkungen nach dem Sturz waren erträglicher als das unmögliche Wetter. Eine Woche nach der Kollision konnte ich die Tasse wieder schmerzfrei bis an den Mund führen. Jeden Tag ein wenig höher. Als ich die Tasse dann mit der Rechten einhändig hoch ins Regal räumen konnte, kam Radfahren in Reichweite.

Erste Meter

Ob in der Schulter etwas gebrochen war? Sie war (mit fremder Hilfe) voll beweglich, nix knaxte, die Schmerzen kamen aus der Muskulatur. Vorsichtig bewegen und immer nur bis zum Schmerzpunkt, das war der wichtigste Rat, den ich bekam. Gerissen, geprellt, gestaucht von der Schulter bis zum Knie, aber eben nicht mehr – Hämatome brauchen 6 Wochen, so die Prognose. Auf dem Rad schmerzte dagegen nichts, abstützen am Lenker war sogar entspannend.

ao4Zunächst mit dem Marschall, der 3fach Kurbel und den extraleichten Berggängen. Immer schön leicht treten, nie zu stark am Lenker ziehen: so ging es durch die ersten Ausfahrten. Das System langsam wieder hochfahren, die Hämatome aus den Muskeln wringen. Der erste Sonntagsausflug nach Hachenburg wurde zur Odyssee von gerade einmal 70 Kilometern. Das war vor einem Monat.

ac4Weiter über die Hausstrecken: wieder maßnehmen, wieder die Kapazität aufbauen. Unter die Kleinbahn durch, deren Farben doch an das Trikot von „la vie claire“ erinnert. Radfahren ist ja weder Kraft noch Schnelligkeit noch Ausdauer allein, sondern alles zusammen. Und das war das Härteste – die eigene, alte Form suchen.

Der Brevet der keiner war

ao1Einen Monat nach der Kollision hätte ich es gern wieder gewußt. Pünktlich treffe ich morgens in Wuppertal ein – aber seit der Raststätte Remscheid ist mir klar – in diesem Gemisch aus Nebel und Nieselregen fahre ich nicht zehn Stunden durchs Sauerland  – bei aller Liebe.

ao2Ich wünsche den Kollegen dennoch gute Fahrt, will niemand entmutigen – in Minutenabstand (corona oblige!) ziehen sie ins Graue davon,  alle werden zurückkehren.

ab1Langsam kehrt der Rhythmus zurück, Stück für Stück erobere ich mir die Strecken, jeden Tag von neuem, jeden Tag drängt die Blutzirkulation den Schmerz zurück und die blaugrünen Muster der Hämatome verziehen sich wie dunkle Wolken von der Haut. Mein Gradmesser ist der gequetschte Ringfinger links, noch kühlt er schneller aus als die übrigen.

a1Das alles soll nur den Weg zurück erzählen, falls jemand einmal ähnliche Erfahrung macht – mein Prüfstein liegt weiter entfernt am Horizont

Feldbergtaufe für das Gents Touring

Von weitem kann ich ihn leicht erkennen, den Taunusgipfel. Oft ist die Wetterstation noch in den Wolken, entscheidend ist der Rest unter 600 Metern. Da ist es heute frei und stellenweise sonnig.

In einer guten Stunde werde ich dort sein.

ac1Zunächst aber die erste Lahnüberquerung für das Rad unter dem Felsendom Lubentius. Ruderer trainieren wieder.

ac2Ich kann den Frühling sehen, er verrät sich mit der Sonne in den Zweigen. Kleinste Veränderungen und unten rauscht ein Bach. Ich trete gleichmäßig weiter, weiter nach Süden.

Im Emstal beginnt die Prüfung, nur Schafe sehen mir zu, noch einige Kilometer – bis Wüstems – begleitet mich die Sonne. Dann kommen die ersten wirklichen Höhenmeter.

ac3Kurz nach dem schönen Kletterfelsen wird sie verschwinden, aber hier habe ich die erste Stufe schon genommen und gemerkt, wie ich den Rhythmus finden kann, daß ich nur Geduld haben muß, nicht pushen, nicht drücken.

ad3ad3Als ich den die zweite Stufe hinter mir habe, kurz vor Oberreifenberg, wo wenige versprengte Wanderer sich um die Thermoskanne an der Kofferraumklappe knubbeln, sehe ich den großen turm im Eispanzer Ich schätze ab: Null Grad Grenze bei 600 Metern, die Straßen hier alle weiß vom Salz und so geht es in die letzte Stufe, die lange Gerade aus Oberreifenberg im kleinsten Gang. OK.

Wenige Minuten später passiere ich den geöffneten Imbiß und der Wind schlägt mir schneidend ins Gesicht.

ad5Ich kann zufrieden sein – die Kraftprüfung ist geschafft, jetzt kommt die Ausdauer.

ad6Die Bananenschale verschwindet im offenen Maul des standhaften Mülleimers, der von gefrorenen Eisblüten dekoriert ist. Man erkennt die Windrichtung. Ich kauere mich für die Abfahrt nach Schmitten zusammen.

ag2Hier an der Tankstelle, wo sich demnächst die Motorradgruppen und Sonntagsfahrer in Schlangen anstellen werden, die Waschanlage bis zur Leerung des Duftschaumtanks bespielen, sind heute nur die gekommen ,die die Notwendigkeit treibt: das Pflegeheim, der Lieferdienst, der Pflichtbesuch oder einfach der leere Tank.

ag1Auch mein Tank ist leer, mein Thermostat muß dringend hochgestellt werden, marzipancroissants, Cappucino heißer Kakao. Und weiter durchs Weiltal. Das Weiltal ist angenehm, der eigentliche Test kommt noch.

Pièce de résistance

ag3Der Feldberg ist nur eine Pflicht, die Kür kommt erst viel später, wenn es auf die letzten 25 Kilometer geht. Dann nämlich müssen die neuen Kalorien heran, muß der Körper zeigen, daß er nicht zu erschöpft ist, den Brennstoff zu verwerten und damit den Kreislauf in  Gang hält, während das Rad rollt. Der rechte Oberschenkel schmerzt, weil seine Muskeln die Dauerbelastung nicht mehr gewohnt sind. Das Weiltal ist schön und kompensiert den Seitenwind.

ag4Wiegetritt und dehnen, weiterfahren und strecken: es ist ein positiver Schmerz, kein zerstörender. Nach der Rampe hinter Essershausen der Demeterhof, das Idyll mit Kaltblütern. Hinten schon der schützende Wald und nachher die Abfahrt nach Weinbach.

Weiltal, Weinbach, Lahntal und Kerkerbachtal, das sind die Perlen an der Schnur. Die Schnur zieht sich, aber die Sonne schafft es noch immer über die Kuppe – jetzt hier, hinter Odersbach diesen unangenehm langen Weg hinauf, vorbei an einem rauchenden Mann, der darauf wartet, daß seine Frau (wegab , mit Hund) zum Auto zurückkehrt. So geht es aufwärts.

ag5Mit dem letzten Blick zurück auf die schöne Lahnschleife, hinunter auf die schlafenden Campingwagen, die Lahn und dahinter irgendwo auch Weilburg. Ich werde diese pièce de résistance der Brevet Selbsthilfe Ruhr für eine kommende Fahrt warm ans Herz legen – er ist so schön, vor allem dann, wenn man ihn hinter sich hat.

Und irgendwann, als der große Sonnenball dann rot wird ist die Feldbergtaufe vorbei. Aus einer Gastwirtschaft tönt Jubel – kurz vor 5, den Autoaufklebern und Vorgartenfahnen nach ist die Eintracht in Führung gegangen. Gleich ist das Spiel herum – wir haben gewonnen mein Koga .

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3 Antworten zu Feldbergtaufe im Februar

  1. alex schreibt:

    Weiterhin gute Besserung. 😉

  2. randonneurdidier schreibt:

    So wird der Formaufbau gelingen👍 Du machst das gut- Für Körper und Seele gut.

  3. crispsanders schreibt:

    Ohne den „glücklichen“ Sturz zu vergessen (sonst wär das alles nix): vielen dank für die guten Wünsche.

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