Heerlen 200 180222
Manchmal haben Vorhersagen eine beruhigende Präzision. Sturm 1 sollte am 17 Februar über den Norden ziehen, Sturm 2 am Sonntag den 19ten folgen. Dazwischen eine große Blase frischer blauer Luft. So zeigt es die Simulation der online Satelliten, so kam es auch. Unendlich viel besser als die kleinen, verrauschten schwarz-weiß Bilder, die Satelliten so um 1983 nur wenigen Meteorologen auf kleine -also winzigen – Röhrenmonitoren funkten.
Während die Dachziegel klapperten und ein Baum sich an der Hauswand ausschüttelte, schlief ich mit der Gewissheit des allwissenden Satellitenbildes ein. Morgen würde eine große blaue Luftblase uns Radfahrer schützen.
Landgraaf bildet eine kleine grüne Blase. Die Bergarbeiterstadt, die sich vor 50 Jahren gemeinsam mit Heerlen neu erfand, begrüßt die Randonneure zum ersten 200er in einer garantiert schneefreien Snowworld, zwischen rundum rekultivierten Hügeln. Diese Kunstschneepiste versteckt sich unter einem riesigen Dachgebilde auf dem Gipfel der höchsten Halde, die Holland je erzeugt hat. Jetzt liegt ewiger Kunstschnee dort. Die Zufahrt zum Parkplatz regelt ein Nummernschilderkennungsbot, der dem belgischen Audi drei Nummern vor mir die Erkennung verweigert. Die Holländer sind in Sachen künstlicher Intelligenz noch weiter als ich dachte.
Eine halbe Stunde später geht es auf in einen immer noch frischen (3plus) blauen Morgen. Wir erhalten unsere gelben Karten in einem sicheren kleinen Nebenraum des verzweigten Gebäudekomplexes. Auch hier ist alles in warmen holztönen gehalten, wie in einer Berghütte.
Kurze Begrüßung, ein Kommen und Gehen, bekannte Gesichter und darunter zwei, die heute mit mir die Straße teilen werden: Roy und Uli.
Gemeinsam brechen wir in den ruhigen Straßen des Samstagmorgens auf –
das niederländische Radfahrerradar muß wieder aktiviert werden: hier ist es Sitte, die vorhandenen Radwege zu benutzen – die allzu häufig plattiert sind.
Der schöne Morgen meint es gut mit uns : die Schleife geht als erstes in die kleine holländische Schweiz, das ländliche Südlimburg, eine katholische Enklave, die über das Bistum Maestricht an Holland gefallen ist. Eine Gegend, in der es bald von Rennrädern wimmeln wird- ab dem Frühjahr.
Wir sammeln die schönen Höhenmeter ein, während andere unterwegs sind, Fallholz für ihre Kamine zu ernten. Energiewende hin oder her.
Hier ist schon der Südpol unserer Tour erreicht und wir spüren jetzt woher der Wind kommt: Südwest werden wir von hier bis Venlo die Maas hinaufgetrieben werden.
Noch einige Anstiege, noch einige weiß gekalkte Höfe und wir werden das Auenland, die holländische Schweiz hinter uns gelassen haben.
Richtung Maastricht setzen sich Lauftrupps in Bewegung – es sind organisierte Frauengruppen, die sich treffen und durch die Vororte laufen. Viele tragen umschnallbare Schultergewichte, wie mir auffiel.
Wenig später ist Maastricht gestreift, ich bedaure kurz, eine wundervoll gelegene Avia Tankstelle in Meerssen nicht belichtet zu haben und wir kommen nach einer kleinen Dünenwelle in die Welt der Ebenen und Wasserläufe. Hier ist das Staatsgebiet nmur wenige Kilometer breit. Der Wind bläst kräftig aus Südwest. Es wird zu einer Wiederholung der Ausgabe 2020, mit mehr Sonne.
Das gewählte Koga verrichtet seine Arbeit mit großer Ruhe, Lenk und – spurstabil, ohne nun ein Laskahn zu sein. Interessant, wieviel an Rennrädern ein Zentimeter hier und da ausmachen.
Am Kanal fehlen ein paar große Pappeln, die dem gestrigen Sturm zum Opfer gefallen sind.
Wir schließen uns mit einigen Mitfahrern zu einer größeren Gruppe zusammen.Dabei sind zwei Amerikaner, die auf ihren hausgemachten Randonneuren die Vorqualifikation für Paris Brest 2023 unter die Räder nehmen.
Wir lassen es laufen. An gewissen Abschnitten ist der Rückenwind so stark, daß Fahren im größten Gang möglich wird.
Thorn ist die erste von nur drei Kontrollen heute. Manche nehmen im Restaurant Platz, eine heiße Erbsensuppe draußen ist mir lieber. Die Räder bilden heute das größte Verkehrsaufkommen in diesem kleinen, fast schon übergepflegten Städtchens nahe der belgischen Grenze.
Von hier bekommen wir gut 40 Kilometer Rückenwind bis Venlo, dem nördlichen Wendepunkt der Fahrt.
Parallel zu den großen Verkehrsadern schleichen wir uns durch Nebenorte und Vororte, folgen dem Verlauf der wenigen Dünen auf der Westseite des Flusses.
Manchmal kreuzen wir ein Wäldchen und überwinden es
Oder genießen die glitzernden, weiten Bögen der vollen Maas zu unserer Seite.
In einer Stunde werden wir von der anderen Seite grüßen.
An den Siedlungen der Niederlande fällt die farbliche und formale Einförmigkeit der kleinen Häuser ins Auge. Jede kleine Stadt, jedes Dorf durch das wir rollen hat diese recht monotonen, fast baumlosen Viertel mit Häusern aus ockerfarbenen Backsteinen; wer Chaos gewohnt ist, dem ist diese Ordnung unheimlich. Lesen wir sie als Durchzivilisierung . . .
Die Karnevalsmützen kontrastieren schon eigenartig dazu.
Wir sind es aber, denen man ungläubig hinterhersieht, während die kleine Karnevalsgruppe weiterzieht und die Musicbox hinter ihnen versucht, etwas Leben in die Straße zu bringen.
Auch wenn sich erste Elemente der nahenden Satdt Venlo abzeichnen, kommen noch einige ländliche Einrichtungen, wie dieser Tank einer Champignonzucht in Sicht. Man versteht: wenn Landbau, dann nach allen Regeln der Optimierung.
Die Häuser werden etwas größer, doch nicht unbedingt schöner.Die Moderne mit Doppelgaragen.
Modern ist auch der Grundriß Venlos, die Brücken und Straßen, die Verkehrsführung rund um den Bahnhof. Hier gilt es, als nachweis für km 130 „die Uhr“ abzulichten. Es gelingt.
Gleich daneben sogar noch eine weitere, ältere Turmuhr, die ihre Umgebung dominiert. Relikt einer Epoche, als die Normalzeit im öffentlchen Raum angegeben wurde.
Die neuere Uhr dagegen ist schon in ihrer Bill-Gestaltung ein postmodernes Zitat , die Uhr als Ornament. Roy sieht das genauso und nickt.
Für uns beginnt ab hier die lange Arbeit gegen den Wind.
Wir werden nichts anderes zu tun haben, als uns zu beugen und mit aller Kraft den Rhythmus auf langen, ungeschützten Geraden zu halten.
Eine Zeitlang begleitet uns Roy noch, mit dem wir an der Bahnhofsuhr wieder zusammenfanden. Hier steht er an einer der vielen Kreuzungen, die den Charme dieses Landes ausmachen.
Ich schätze die Brise auf 6bft.
In den Dörfern können wir hinter schützendem Mauerwerk Luft schnappen, um dann wieder für ein paar Kilometer in den Wind zu gehen. Kleine Kirchen spicken den Weg.
Und endlich nehmen uns die hohen Mauern der Stadt Roermond auf, das wir über den Fernsehturm schon seit einer Stunde anpeilen. Kleine Inspektionsrunde durch die gut belebte Stadt. Es hat sich in den Jahren etwas getan, mehr Entertainment und Tourismusbetrieb, dafür keine friture mehr am gewohnten Ort (Mieten steigen – der Hunger bleibt).
Der Turm verströmt entfernt sowjetischen Charme. Hier fühle ich mich zuhause – ganz wörtlich: Roermond war die erste, wirkliche Stadt meiner Kindheit – unzerstört, schöne Häuser, großzügige Anlagen, eine gewachsene, schöne Form, ein schöner Stopp auf den ersten Rennradtouren..vor 40 Jahren
Noch eine Landmarke Die Basilika StOdilienberg, wir überqueren hier die Rur, dem kleinen Fluß aus der Eifel. jetzt brauchen wir allmählich neue Kalorien, der Wind wird nicht nachlassen und auf den letzten 40 Kilometer
Posterholt, Stammsitz der holländischen Rennfahrerdynastie Verstappen. Ein schlichtes Dorf mit drei Frituren: wir wählen die Mittlere, und tun als einzige Gäste gut daran. . . .Kilometer 165. Von der Terrasse aus grüßen wir: die 2 Amerikaner, Roy, eine kleine Gruppe und noch einen Einzelfahrer. Ob Roy sich nicht an die Amerikaner hängen konnte? Allein unterwegs zu sein kostet gefühlt doppelte Kraft.
Ab hier, ganz nah an der deutschen Grenze entlang (Kirchtürme grüßen), drehen wir wieder voll in den Wind – für zwei Stunden. Das verlangt nicht nur ein Gefühl für die gute Pace, sondern auch eine Menge Kalorien auf Vorrat. Pause gibt’s ja nur hinter dem Vordermann. Es geht lang übers freie Feld, die kleine Enklave namens Selfkant und wieder erste – sehr kleine- Hügel.
Die Dunkelheit bricht in den Vororten von Brunssum und Heerlen ein, aber es geht gut so – die Pommes und das kleine „Brand“ Bier halten vor. Dann endlos wirkende Vororte, das Labyrinth Heerlen, die unendliche Variation seriellen Bauens. Und da kommt mir Thomas Bernahrd in den Sinn, der hier geboren wurde und über den Marcel Reich-Ranitzky schrieb:
Wie, wenn er, der doch in einem holländischen Ort geboren wurde, dort aufgewachsen wäre? Kann man sich ihn als einen holländischen Schriftsteller denken? Gewiß, nur wären dann für ihn, ich bin dessen sicher, die Niederlande eine einzige „geist- und kulturlose Kloake“, dann hätten die Holländer von ihm allerlei Böses über, sagen wir, Rembrandt hören müssen. Kurz und gut: einem holländischen Autor Thomas Bernhard hätte natürlich nicht Österreich als Metapher für die Sinnlosigkeit unseres Daseins gedient, sondern Holland
Endlich entdecken wir die in der Nacht leuchtende Dachkonstruktion der snowworld, die wie eine bleiche Raupenlarve auf dem Hügel liegt. Gleich wird das nächste Sturmtief beginnen und mit ihm der Regen……..wir haben es in der Luftblase erlebt.
Bleibt noch zu erwähnen, dass Du schätzungsweise 90% der Arbeit gegen den Wind übernommen hast, wofür ich mich noch gar nicht bedankt habe. Schöne und treffende Beschreibung der Fahrt!