Es ist schon März : die Sonne scheint immer früher ins Zimmer. Aber die senkrechten kleinen Rauchsäulen aus den Häusern des Dorfs und der Reif auf dem Gras sagen, daß es noch unter Null ist. Der Hahn zeigt nach Osten, dahin, wo die große russische Bruderinvasion gerade begonnen hat.
Der Himmel ist blau und wird es bleiben, mein Koga ist blau und wird es bleiben – Samstagstourismus
Hinaus zu einem kleinen Treffen mit 2 Radfreunden – den Feldberg befahren. Ich habe die Wintersachen an, drei Lagen Wolle unter der leuchtgelben Jacke, dieselbe lange Hose, die mir die Sanis nach dem Unfall einfach aufgeschnitten hatten. 1xWollsocken in den guten alten, immer noch warmen Stiefeln.
Ein Samstag wie viele – der Ostwind läßt sich noch ein bisschen Zeit, die Sonne steht vor neun nicht hoch genug. Über die Lahn und auf dem großen Koga gut warmgekurbelt.
Noch am kleinen Bach entlang und dann kommt schon die große Straße.
Hier auf der Bundesstraße weiß ich, woran ich bin: Kurs Südost und der Wind hat mich im Griff. Schön tief über den Lenker, manchmal ganz nach unten. Die schmale weiße Farbline am Rand der Straße ist der Faden meiner Kilometer, das narbige Grau des Belags noch ausgebleicht von der Salzlauge. Die Waschmaschinen in den Hauskellern laufen schon, vor den Bäckern stehen Autos und Menschen mit Maske. Tankstellen ziehen vorüber.
Es ist der erste Samstag im März und mit jeder Tankstelle, die ich streife steigen die Preise um ein paar Cent. Trotzdem sind sie unterwegs und bilden immer längere Schlangen vor jeder Dorfampel, die sie näher nach Frankfurt führt.
Im Radio überschütten uns mit Meinungen und Ansichten, Meldungen und Lageberichte; die Wahrheit findet auf der Straße statt, die Wahrheit ist der ungeduldige Gangwechsel hinter mir. Was auch immer geschehen mag, das Rennen um die Sonderangebote geht weiter. Bald Frühling, eine neue Zeit beginnt. .
Erst an einer Kreuzung in Waldems ist es vorbei, direkt nach dem Reifenhändler, dessen Banner Wechsel auf Sommerreifen ankündigt.
Der Geruch frisch gepflügter Erde dringt vom Feldrand und ich eile vorwärts. Die Kirchturmuhr in Heftrich geht auf halb elf, nur noch eine halbe Stunde bis zum Treffpunkt. Der 15 er muß gezogen werden, sooft es geht – und das Gefälle hilft. Ehlhalten, Eppstein, Hofheim, gegen den Wind und die gleißende Sonne. So hell wie im März ist es nie.
Sie haben ihr Ziel erreicht.
Nach dem Zeitfahren die Wanderung zu dritt über den Taunus. Wir folgen der gleichen Strecke zurück, um von der Nordseite an den Feldberg zu kommen. Heftrich, Kröftel, Oberreifenberg.
Sonnige Dörfer, herausgeputzt – vor einigen Jahren sahen sie noch vernachlässigt aus, dann hat sie die Urbanisierung erweckt.
Kurz vor Oberreifenberg stellen wir die Räder zusammen, daneben letzte Schneereste.
Es ist ein sonniger Samstag wie die anderen und auch heute steht dieser türkise Porsche vor dem Café im grafischen Stil der 1970er, der mich unweigerlich an eine Szene aus Faserland denken lässt.
Viele werden ihm folgen – aber noch ist der Feldberg mit seinen üppigen Straßen nicht der Tummelplatz für motorisierte Potenzdarbietungen, bei denen es für Radfahrer gefährlich wird. Wir nutzen diese Lücke, es bleibt kühl und windig, zwischen den unversehrten hohen Tannen fühlen wir uns wohl, unter ihnen liegt der Schnee.
Der Erstanstieg ist für den Mannheimer Gast vollendet, besonders schwer fiel er jetzt nicht. Nur der eisige Wind verhindert den beschaulichen Genuß, wir müssen in Bewegung bleiben und umrunden das Plateau der großen Wetterstation.
Blick hinunter nach Norden, auf Oberreifenberg und seinen türkisen Porsche und weiter hinten schon im Dunst Bad Camberg. Von dort gingen Klassenwanderungen bis hierhin zum Gipfel.
Die Nordseite ist die wilde, weil klimatisch rauhe Hang des Taunus. Die armen Verwandten im Tal haben jetzt die Zeit auf ihrer Seite, das gute Wasser und die kühlenden Wälder.Überall wird Holz gestapelt. Die Welt dreht sich sehr schnell unter unseren Reifen.
Es ist ein Samstag wie so viele – während ich auf der Bundesstraße 8 mit dem kleinen Positionslicht gegen die untergehende Sonne anrolle und hoffe, daß die Kalorien mich noch die letzten 25km schieben werden, überholen mich immer mehr Autos, werden mit jedem Dorf die Schlangen vor den Ampeln länger.
An den Tankstellen stehen immer noch die historischen Preise.
Es war ein kalter, blauer Samstag und das Hochdruckgebiet schiebt weiter südöstlichen Wind nach, die Edelstahlkamine der Häuser rauchen vor sich hin. Gleich habe ich es geschafft, mein Ranzen ist voller Bilder und Erinnerungen, die wie auf einem riesigen Bildschirm in meinem Kopf nachleuchten.