Km 118. Den ersten habe ich vor einer Stunde getauscht, den schönen, bewährten, doppelt geflickten Altschlauch gegen einen frischen, makellosen Conti.Hat nicht lang genutzt. eine Sutnde später, im Windschatten einer Hecke auf einem belgischen Hochplateau bei knapp Null Grad wird jetzt der Cube Schlauch aus der Tiefe des Kofferraums gezückt. Gerade einmal 120 Kilometer sind vorüber – von 300. Nur eins steht fest: es wird jetzt trocken bleiben.
Das Schlimmste lag da hinter mir. Das Sturmtief vom Vortag war abgeflaut, der Nordwind hatte seinen angekündigten Schnee über die Ardennen und das südliche Holland verbreitet. Kalt war es schon. Minus 2 an der snowworld, die ausnahmsweise nicht nur innen weiß trug.
Gerade 18 Starter sind unterwegs; als einer der letzten mache ich mich um 20 Minuten nach acht auf auf den Weg.
Ich folge einem Vorfahrer aufs Land, das gut auf eine Weihnachtspostkarte gepasst hätte. Die Straßen sind frei aber salzfeucht – gute Schutzbleche sind sinnvoll. Vor wenigen Wochen war es hier wie ein Frühlingstag, heute ist Winter, Jahreszeiten kehren um.
Es ist ein beständiges auf und ab der kleinen Hügel und kleinen Dörfer, nur die Nummernschilder verraten hier das Hoheitsgebiet.
Nach Belgien hin wechselt der Asphalt, ein letzter Blick zurück. Die kleinen Bäche bekommen jetzt wallonische Namen. La Berwinne war der lustigste.
Aber da sind auch Inschriften, die an Barrieren erinnern
Bald wechseln auch die Mauern der mächtigen Höfe ihre Färbung. Aus Backstein wird massiver Sandstein in diversen Grautönen, die kleinen Dörfer wirken uneinnehmbar und stattlich. Der Pays d’Herve ist fruchtbar, wie eine englische Landschaft liegt er hinter dem Dreiländereck.
Nur ab und zu hat mich ein Schneeschauer gestreift, einmal warmgefahren geht es mit Wollsocken und Daunenpanzer durchaus wohlig . Die Winterhandschuhe eines Discounters sind seit Jahren Standard an den Händen, Beispiel für ein gutes, haltbares Produkt das lächerlich preiswert war. An einer Steigung hat das Salz nicht gereicht und ich versuche sofort, Spuren möglicher Vorreiter zu erkennen. Nicht viel zu sehen, außer einer deutlich ondulierenden Fährte, die von etwas breiteeren Reifen stammen muß. Spuren vom ersten Vorfahrer sind nicht zu sehen, auch sonst nichts.
Bald finde ich die Lösung: es ist ein Liegeradfahrer, der nur eine kleine weiße Kappe über langem, wallenden Haupthaar trägt. Bergauf hat es seine Konstruktion etwas schwerer, darum die leicht schlingernde Linie. Dann kommt schon der letzte, steile Anstieg nach Battice der ersten Kontrolle.
Hier stehen noch eine Handvoll Mitfahrer, die sich das heute wärmer vorgestellt haben. Frage sie nach dem Bäcker, sie brauchen ihn nicht. Vor drei Jahren war der Bäcker Kontrolle, Hunger und Neugier trieben mich also weiter hinauf in die Stadt :
Neueröffnung an alter Stelle – Geschäftsübernahme, der Vorbesitzer ist verstorben; seit 10 Tagen hier wieder frische Brote und den von mir begehrten süßen Reiskuchen. Man trägt keine Maske mehr, heißer Kakao kann nicht abgelehnt werden.
Gleich noch einen Reiskuchen für den kleinen Rucksack, man muß die kulinarischen Höhepunkte nehmen, wie sie kommen.
Den Ravel muß man auch nehmen, wie er kommt. Da es abwärts geht, kann es ja nicht mehr schlimmer werden. Es ist keine überfrorene Nässe, der Schnee ist weich, mühelos lässt sich mit Tempo hindurchpflügen. Eine Handvoll Spaziergänger- freie Bahn. Nur die verkehrstechnisch kluge Einrichtung, vor jede Straßenkreuzung eine tiefe Rinne zu legen, geht gegen den Rhythmus. Strichweise Industrie und dann Fleron-super-Vesdre. Eine Lütticher Vorstadt, die renoviert wird.
Alte Bekanntschaft dieser Stadt mit dem Krautscheid. Auf dieser Hauptstraße fuhr ich an die letze Kontrolle des Maestricht 400 mit ebendiesem Rad – 2014. Nach dem Stempel gönnte ich mir mein erstes belgisches Bier für die letzten 30 Kilometer. Erwähne ich nur, weil dieser 400 noch eine Rolle spielen wird.
Mühsame überquerung der kanalisierten Vesdre, man übersieht, daß die eigentliche Fahrradbrücke zwischen den beiden morschen Brückenteilen liegt. Improvisation.
Und hier ist ein Hauch von Frühling, klar und kühl. Verstreute Teile die in den Ästen der Uferbäume hängen wie Installatoionen lassen erkennen, wie das Hochwasser des letzten Sommers, der Tag an dem das Ahrtal entstellt wurde, auch auf dieser Seite mächtig gewütet hat.
Hinter Tilff liegen jetzt neue Betonplatten für den Radfahrer. Frische Blüten rundum.
Sonst in Belgien nichts Neues, das architektonische Gemisch von alt neu und mittelalt, so mancher Baustil wurde in den fetten Nachkriegsjahren erprobt; die kleinen Abstecher der Strecke, einige (mühsame) Seitenwechsel über Vesdre, danach die Ourthe unterbrechen das flache Profil.
Und dann der sanfte, stete Anstieg aus der Talkerbe aufs einsame Plateau. Wie überall in den Wäldern sind alte Traktoren die treuen Helfer , die das Brennholz ins Heim schleppen. Denn oben wartet noch ein bisschen Nordwind und Winter, beginnt plötzlich einsames, fruchtbares Ackerland bis zur Maas hinunter.
Wieder diese grauen, fast festungsartigen Dörfer . Hin und wieder eine gerade Landstraße die achtlos die landschaft zwischen zwei Städten durchschneidet.
Mein Weg dagegen kringelt sich so um die Häuser, um die der Nordwind bläst. Denkmäler für die Gefallenen Belgier, in einem Dorf werde ich die Inschrift: im Gedenken an die teutonische Barbarei lesen. Der Wind ist auf diesem Teil mein Freund und erleichtert die Durchquerung der oft baumlosen Flächen.
Mittag ist nun durch und in einem Spar, den ich noch genau von einer Parisfahrt erinnere, versorge ich mich mit Proviant. Wasser, Tomaten, Bananen und dem Bier der Region
Nebenan ein Bäcker mit seinen Auslagen, leider nichts, was ich jetzt noch einstecken könnte. Es geht auf einen schönen, grünen Ravel von dem ich noch nicht ahne ,daß er mein Unglück sein wird. Der Asphalt ist rauh und übersät mit Ästen und Steinchen.
Endlich Gelegenheit, windgeschützt eine kleine Bierpause zu genießen. Mit dem, was ich im Bauch habe, könnte es fast bis Namur reichen. Man weiß nie, wieviel Kalorien mehr durch die Kälte verbraucht werden, auch wenn man sich warm fühlt und es mit dem Tempo nicht übertreibt.
Dann in Havelange – mitten auf der Hauptstraße, die sich gerade den Berg hinaufzieht plötzlich dieses untrüglich schwammige Gefühl am Hinterrad, das den fatalen Luftverlust meldet.
Ich strande günstig: die Zentrale Frittenbude liegt gleich am nächsten Knick. Ich bestelle und beginne den Schlauchtausch. Die Frau an der Fritteuse ist besorgt: ob es lange daure, sie müsse doch um halb zwei schon schließen, ihre tochter wartet. Ich kann sie beruhigen und auch wenn der Pasela recht stramm auf der Felge sitzt, kann ich ihn gut aushebeln.
Ich sehe die zwei alten Flickenauf dem alten Schlauch und sage mir: aller guten Dinge sind drei – in die Tonne. Dann den nagelneuen ContiRace – befreit, ausgewickelt und gedehnt. Dazwischen Pommes einschieben. dabei den Mantel prüfen – von innen. Gar nicht leicht, aber einen scharfen kleinen weißen Splitstein in der Lauffläche entdeckt, unter ihm schließt sich die kleine Gummiwunde. Innen nichts zu fühlen – noch die Hände mit dem Schnee vom Tisch waschen Pumpe ansetzen und dann in langen Zügen auf (gefühlte) 5 bar kommen. Es geht und es geht weiter. Der Liegeradler ist eben über die Hauptstraße vorbeigezogen.
Ein paar Minuten später sehe ich seine niedrige Silhouette wieder im Sonnenlicht der endlosen Landstraße. Diese sanften Geraden im Seitenwind sind schwer einzuschätzen, in ihrem Auf und Ab ist der richtige Gang nicht leicht zu finden.
Dann grüße ich ihn zum zweiten mal: über eine Viertelstunde verloren, fast eine halbe mit Pommes und Einkauf – jetzt läuft es wieder. Nur nicht mehr so leicht wie vorhin, ein stechender kleiner Kopfschmerz macht sich unter dem Helm breit, während Sonnenstrahlen über die Ebene streifen. Ich habe nie Kopfschmerzen – vielleicht sitzt der Helm falsch. Der Helm sitz nicht falsch und der stechede Schmerz kommt mit jedem Anstieg wieder.
Bis zum Tal der Maas, der letzten Geraden zum Wendepunkt sind es noch einige Wellen und jedesmal denke ich , dies war jetzt die letzte. Welle um Welle, Kaff um Kaff. Pappelwäldchen, eine Kirsche hat sich eingeschlichen und duftet süßlich zur Straße hinüber. Namur doch nicht so nah wie gedacht, ich sollte dankbar sein, daß es aus den dunklen Wolken nicht schneit. Eine kleine Dorfstraße, hübsche Häuschen, ein Grasstreifen am Rand und das fatale weiche Gefühl am Hinterrad. Der Markenschlauch ist undicht. Eine Hecke als Windschutz, grün und von Schnee bepudert. Der nächste Schlauch wartet im trockenen des kleine Kofferraums.
Cube lese ich auf seinem schmalen schwarzen Band. Nagelneu. Meine letzte Patrone. Nichts wie rein damit. Zuversichtlich grüße ich den Liegeradler zum dritten mal, der mich besorgt anblickt. Schlauch korrekt eingezogen – Kontrolle. Blätter der Hecke haben sich in den Mantel geschlichen, schonmal anpumpen Ok,? Scheint so. Nochmals rundum den richtigen Sitz auf der Felge prüfen, denn diesmal muß es 100% sein – einen anderen Schlauch gibt’s nicht und unter 5 Grad kann ich keinen Flicken der Welt aufvulkanisiseren. .
Diesmal ist alles 0%. Immer wieder versuche ich, Luft in den Schlauch zu bekommen – nichts, niente, rien. Hilflos blicke ich mich um. Und sehe die Häuserreihe hinunter. Ich sehe die Häuserreihe hinauf. Bis Andenne sind es noch geschlagene 15 Kilometer. Ein weiterer Mitfahrer ist ich nicht zu erwarten.
Ich sehe mich um – ein Mann kommt mit seinem Schäferhund die Straße hinauf.
Richtig spannend, wie im Film. So spielt das Leben💪 und an solche Brevets erinnert man sich am intensivsten. Bravo Christoph 🙋♂️
Danke für den Applaus – die Fortsetzung kommt erst nach Ostern – bitte um Geduld.