Natürlich stellt ein bei Sonne und Tempo (gut) abgeschlosseneer 400er erst einmal ungemein zufrieden. Ich danke Christian Schulz, dem Veranstalter der Brevets in Gießen, daß er diese „star“ Tankstelle als Zielort ausgesucht hat. Sie ist mehr als nur 24h Tankstelle -es gibt eine regelrechte Sitzecke mit englischroten Bezügen, sie erinnert entfernt an ein amerikanisches Diner. Es gibt eine Theke mit Barhockern, an der es auch angenehm ist, in Ruhe seinen Tee zu genießen.
Man sieht das Kommen und Gehen der Besucher draußen an ihren Autos, während sie die Scheibenwischer prüfen oder noch einmal nachsehen, ob die richtige Sorte Sprit in den Tank läuft. Sie kaufen auch Blumen: wie heute, am 8 Mai für den Muttertag. Ein Indonesier, der seiner Mutter noch schnell etwas besorgt. Dazwischen Radfahrer, die eintrudeln und erleichtert ihre Brevetkarten abgeben.
Das Essen schmeckt und die Erschöpfung ist noch nicht angekommen. Sie tritt erst in den folgenden Tagen auf, selbst wenn man 10 oder mehr Stunden Schlaf genossen hat.
Der Tritt ist schwer, Muskeln und Sehnen müde, gewisse Partien schmerzen noch und eine kleine Runde in leichtem Tritt ist das äußerste. Mittagsschlaf, abends früh zu Bett. Vitamine, Vitamine, Dr. Wolz Spezialtrunk. 400 km sind kein Training, sondern in meinem Alter eher ein Angriff auf die Substanz. Ich lese dann gern wieder den Müller-Wohlfahrt, der mir die Antioxidantien erklärt, das frische Obst, das Gemüse, die guten Fettsäuren. Meine Pistazien schmecken auch wieder. Ob Ananas zählt?
Nachschlagen in Ratgebern ist gut, besser aber Reinhören in den Körper: was willst Du gerade. Was brauchst Du? Im Anschluß: drei Tage lang Hunger. Ich war an der Grenze unterwegs, habe sie nicht überschritten. Äußerlich bin ich beinahe unversehrt. Die guten Shimano SPD- Tourenschuhe sind alte Freunde, auch wenn schon eindeutig mitgenommen. Lenker und Bremshebel passen – kein Taubheitsgefühl, das entwickelt sich, das trainiert sich, es sind auch Muskeln im Spiel. Genau wie beim Nacken: möglicherweis helfen dort meine täglichen Fahrten mit dem Rucksack. Man findet seine Sitzlänge, seine Überhöhung, seine Position. Ein guter Coach würde sofort sehen, ob alles stimmt.
Einen 400er als reine Willensleistung, am Ende zum Triumph des Willens zu erklären, ist blödsinnig, genau wie den 600er oder jede andere Distanz. Jahreskilometer und Gesundheit, das sind zwei notwendige Bedingungen; über allem steht Wunsch, die Absicht, ihn zu meistern, sich darauf ganz einzulassen. Meistern trifft am ehesten den Umgang mit einer Distanz, die immer Unvorhergesehenes bereithält. Der Koreaner in diesem Cohen Film – a serious man – sagte: „Akzeptiere Mysterium“ – die innere Bereitschaft, Unerwartetes einzurechnen. Denk immer über die Kilometer nach und denk nie darüber nach. Denk nie daran, was es bedeutet, 24h wach zu sein. Zeit darf keine Rolle spielen und Zeit spielt die größte Rolle: nicht zu spät essen, trinken, anhalten…Du bist in Deiner Zeit unterwegs. .
Nach einer Weile bewegt man sich in der völligen Gegenwart des eigenen Tritts, des Atems, der nächsten Kurve, eines Anstiegs , der in ein paar Metern beginnt. Das richtige Tempo, das in der Situation richtige Tempo. Vielleicht gibt es Fahrer, die es leichter in der Gruppe finden, mir gelang es nur, wenn ich auf mich allein hören konnte: in der Stille der Nacht.
Das wichtigste aber ist das richtige Tempo. So sagt es schon Mozart von einer ganz anderen Disziplin. Es dauert, es ist sehr individuell, aber irgendwann kennt man es.