Man muß dieses Toilettensystem richtig verstehen. Erst eine Münze hinein, dann öffnet sich die Drehtür. Irgendwo kommt ein kleiner Beleg heraus, den ich später an die Theke des Autohofs auf ein mäßig aufgebackenes Croissant anrechnen kann. Nur ist dieser Beleg bei meiner Rückkerh von der Toilette schon fort – vermutlich hat ihn ein anderer. Die junge Punkerin macht es geschickter und taucht unter die Kinderschranke hindurch, die man für Kinder in Begleitung (bis 1m35) einrichtet. Nächstes mal weiß ich es besser und blättere solang in der Edel-Hifi Zeitschrift herum, bis die Pause vorbei ist. Es gibt sie immer noch. die Lautsprecherkabel für 5000 Euro und der große Bus steht unter dem Dach der Tankstelle.
Morgens bin ich aus dem sattgrünben Westerwald aufgebrochen, die IVV ( also Inveloveritas 2022) via Berlin und Prag zu erreichen. Wieder in Begleitung von Toni und wieder über eine kombinierte Flixbusanreise, die uns bei Morgengrauen in Prag entlässt. Böhmische Landpartie, anschließend KuK Atmosphäre in Wolkersdorf, dem ersten Austragungsort dieses Happenings für klassische Räder vor über 10 Jahren…
Noch trage ich die Startnummer vom Vorjahr. Jetzt: Weiter durch die grüne Landschaft unter blauem Himmel, auf dem Oberdeck hinter getönten Scheiben. Berlin in ein paar Stunden, das Merckx hängt sicher eingehängt am Heck und zwischen 30 Sitzreihen hier oben kann ich mir 25 aussuchen. Durch das 9 Euro Ticket der Bahn, hat der Bus in diesem Sommer einen unerwartet starken Gegner bekommen. Russsiche Paare, Punks und ein paar Staatenlose sind auf der Linie Gießen – Marburg- Braunschweig- Berlin die Kunden, die dem Bus die Stange halten und Wasser aus großen ja! Flaschen trinken. Es ist so viel leiser und schöner von hier oben. Die malerische B3 ist eine Straße, die Radfahrer unbedingt meiden sollten, manchmal wunderlich , wie auf einem afghanischen Paß, wenn Lasterkolonnen aneinander vorbei wollen.
Dann kehre ich zum Buch des Tages zurück, dem ersten Roman des jungen Thomas Bernhard: Frost. Er soll mich mit der Mentalität der Österreichischen Gastgeber auf der IVV – inveloveritas – vertraut machen. Der junge Bernhard beschreibt seine Landsleute mit Verve und schont weder sich noch andere. Ich freue mich, denn sicher sind seit dem Jahr 1963, dem Erscheinen des Romans, nicht nur die Busse besser geworden.
Um exakt 19h20 kurvt der riesige, hellgrüne Dreiachser in den ZOB Berlin neben dem Fernsehturm ein.
Das Rad ist unversehrt, die Reifen heiß von den Abgasen. Die Aufenthaltsräume für Reisende sind weiße Container. Mildes Licht, angenehmes Wetter, es könnte nicht schöner sein für das kurze Wiedersehen. Die Stadt ist in diesem westlichen Teil äußerlich unverändert, die Linden blühen, der Bioladen hat noch offen – ich werde morgen unterwegs frisches Gemüse brauchen.
Das Auto dominiert an einigen Stellen (anderen Behauptungen zum Trotz) immer noch das Stadtbild. Die Terrassen der Lokale sind besetzt, sommerliche Stimmung am Nollendorfplatz,
Das kleine Georg Grosz Museum sollte sich hinter seiner Verschanzung nicht über mangelnde Aufmerksamkeit zu wundern, nur größere Bürger werden den zarten Dachgiebel der alten Tankstelle hinter den Bambusdschungel ausmachen. Hier realisiert jemand sein eigenes Projekt im Großstadtdschungel, es ist einige Werbung wert: ie 20er sind wieder da, in anderem Gewand.
Nun erwartet mich mein Abendessen etwas weiter in einem gut konservierten Teil Schönebergs. Wie eine Wagenburg stehen Mietshäuser um den schönen Platz in der Hochkirchstraße.
Am Südkreuz trudeln die Busse für internationalen Reiserverkehr ein. 23h15, der Dreiachser von Blaguss (SK) nimmt unsere Räder auf. Toni hat im Erdgeschoss einen Tisch für uns und unsere langen Beine reserviert. Auch wenn gegen 2h morgens noch ein Schwall junger Passagiere den Kahn Richtung Budapest besteigen, ist die Stimmung im schwach orange beleuchteten Bauch des Schiffes ruhig wie im Mutterleib, allenfalls flüsternd. Der gewaltige Diesel im Heck brummelt seine menschliche Fracht in kurzen Schlaf.
Unbehelligt rollt der Menschenfrachter um 3h58 vor dem renovierten Bahnhof von Prag aus. Unsere Reise – Prag Wolkersdorf beginnt.
Es ist kurz nach 4 bis die Räder bespannt sind, es ist mild und ein angenehmer Wind weht durch die Straßen – Wir wissen: heute Abend können wir die 310 Kilometer geschafft haben.