Radfahren und Hitze sind Dinge, von denen man 6 Monate lang träumt, um sie dann so schnell zu verfluchen, wie die Hitzewelle gekommen ist. Die Tage der sprichwörlich nasskalten Deutschen Sommer, vor denen es „zu fliehen“ galt, sind wohl gezählt.
Wir sind Ende Juni und die angekündigte afrikanische Südströmung steht mitten über Deutschland. Für den Westen sind 36 Grad angesagt, ein zutreffender Wert, den mir mein Gast aus Mannheim dort schon für den gestrigen Tag bescheinigt.
Hier aber ist es grüner, waldiger und höher. Mit einem tiefen Durchatmen genießt der Freund die frische, würzige Luft an diesem Samstagmorgen. Wir sind zu einer kleinen Überlandfahrt verabredet, ins Lahntal hinunter und wieder hinaus. Vom Westerwald ins mittelhessische Bergland und zurück. 199km für die wir alle Zeit haben.
Es wird ein langer Tag. Das Gras ist nicht nur grüner als im Juli, auch das Korn ist noch nicht ins ganz gelbliche umgeschlagen – der Hochsommer hat das Land noch nicht mit seinen matten Farben abgetönt. Das Auge sieht dem Land die Hitze noch nicht an.
Gedanken zu Sommerfahrten
Ein erster Schritt der Hitze zu begegnen ist, ihr so lang wie möglich aus dem Weg zu gehen – darum zeitig Aufstehen. Bergwanderer wissen das. Der Körper hat Zeit hochzufahren, er wird sich anders der Hitze anpassen als schon wenige Stunden später. Die heiße Luft wird ihn nicht so plagen, der schwindende Sauerstoff weniger quälen, wenn das System gut hochgefahren ist. Und das Auto rollt an den Wochenenden habituell etwas später auf die Straße.
Dabei hat Hitze je nach Umgebung eine völlig unterschiedliche Qualität. In den Auen der Lahn wird sie schon drängender ; bei jeder Annäherung an eine Stadt verdeutlicht sich der Unterschied. Je weniger Grün die Straße säumt, je weniger die Häuserfronten durchbrochen sind, desto beißender empfindet man die von den betonierten, asphaltierten, verputzten und versiegelten Flächen zurückgeworfene Strahlung.
In Gießen (keine besonders verdichtete Stadt) staut sich die Wärme spürbar, wird klebrig. Wartet an der Ampelkreuzung noch ein wohlklimatisierter Bus, bekommt man ein starkes Gefühl, wie sehr Verbrennungsmotoren die sengende Glut über dem Asphalt alimentieren.
Um jede Nebenstrecke ist man froh und sagt dieser Stadt in leichter Kessellage gern lebewohl.
Warm ja, heiß geht auch – Radfahrer sind Klimatologen, ihre Sensoren melden jede Veränderung. An den einsamen Straßen wird der Schatten gesucht, so wie es das Vieh unter Bäumen macht. in den Abfahrten das Trikot öffnen, verdunsten. Jeder Waldsaum wird zum verlockendes Paradies. Dort sind auch 30 Grad und mehr ein erträgliches Los. Der Fahrtwind erleichtert vieles, täuscht aber über die zwei großen fdeinde: UV Strahlung und Durst.
Kommt die Sonne von vorn ziehe, ich den Schirm der Kappe ins Gesicht. Brennt sie von hinten, kann ich sie drehen. Das war für Rennfahrer aus der Zeit vor dem Helm ein Grund, die Kappe „falsch“ zu tragen – man vermied den schmerzhaften Sonnenbrand im Nacken. Die 50er Sunblocker helfen weiter.
Unterwegs kreuzen wir andere Radler –hier fährt einer heute von Frankfurt nach Hamburg, morgen in der früh will er ankommen. Seine Taschen stecken voller Bananen und Ausrüstung. Gestern Nacht „regional“ nach Frankfurt gefahren, dort heute morgen gestartet. Sofort versucht mein Kopf seine Route zu erraten: über die B252 nach Norden – ? Wo wird er in die Norddeutsche Tiefebene vordringen? Je einsamer ein solches Unternehmen, desto mehr Sehnsucht erzeugt es. Seine gegerbte Haut fürchtet keinen Sonnenbrand mehr.
Wasser ist der Schlüssel, am schönsten schmeckt es mit Mineralien. Daran herrscht in diesen Breiten kein Mangel. Manchmal kann man es sogar direkt abzapfen, wie hier am Brunnen, der dem Selterswasser seinen Namen gab. Die Bruchkanten von Lahn und Taunus geben das Wasser der Tiefe frei. Sonst müssen es Tankstellen tun, die man besser vorher einplant, oder über Navigation ermittelt. Wer zu wenig trinkt, leidet nicht nur Durst, er kann auch nicht gut verstoffwechseln – er hungert, ohne es zu wissen.
Die Landstraße ist lang, die Steigungen zehren unmerklich und wir geben mehr Energie ab als wir aufnehmen. Das silbrige gras wiegt sich, der Wegsaum summt. Trinken uralte Weiseheiten, aber leicht vergessen – schnell ist im Sommer die Flasche leer – Nimm2!
Auf dem Trikot des Mitfahrers zeichnen sich deutlich Spuren der Mineralien ab, die der Körper ständig aushaucht. Aus einem Rohrschachmuster werden im Laufe der Stunden Landschaften.
Die gekühlten Innnenräume von Tankstellen werden jetzt zu regelrechten Oasen, ein wohliger Kälteschauer überzieht uns beim Eintreten. Es herrrscht stetes Kommen und Gehen, der Preis der Getränke spielt keine Rolle mehr. Erst nach 18 Uhr nimmt die Hitze ab und die Schatten werden länger
Dann beginnt das vegetative Grün seine Arbeit und produziert Sauerstoff aus dem über Tag gebundenen Co2. Man glaubt es kaum, aber man fühlt, wie einem die Luft aus einer Hecke am Abend zuströmt, sie hat eine andere Konsistenz – die wir tief einsaugen. Gleich hat sich die Sonne versenkt, das Ziel ist nicht mehr weit. Die Felder duften.
Auch der längste Tag neigt sich – wir freuen uns über die Kühle der einbrechenden Nacht und die Heimkehr. Erste Fledermäuse flattern um die Bäume.
Bleibt man vorsichtig, lassen sich auch über 35 Grad gerade auf einem Rad bestens genießen.
Von dem KÖSTLICHEN Wasser aus dieser Quelle träume ich jetzt noch…