Es ist ein klarer, warmer Sommertag. Ein Tag, wie er im Juli nicht besser sein könnte – unter 30 Grad, kaum bewölkt, leichter Wind. Wochenende und Ferienzeit.
An diesen zwei Tankstellen messe ich die energetische Temperatur. Sie liegen ganz unweit der Autobahn, die den Verkehr vom Rheintal über den Westerwald an die Nord –Südachse A3 leitet. Der von der Regierung ausgelobte Tankrabatt ist unvermindert in Kraft, die Preise oszillieren seit einem Monat in einem Korridor von einem Dutzend cent unter der psychologischen 2 Euro Marke.
Ein kleines Schmerzmittel im Sommer der Inflation.
Meine Fahrt wird mich über den Rhein bringen und wieder zurück. Zweimal wird der Fluss mit der Fähre gekreuzt, einmal in Linz, einmal in Remagen, nur wenige Meter von den Überresten der kriegswichtigen Brücke.
Dort, wo ich ins Rheintal hinunterschieße – Bendorf – wird es breit und übersichtlich. Zwischen Koblenz und Neuwied liegt ein weites, gut besiedeltes Becken, das nördlich hinter Andernach wieder von schroffen Felsen und Weinbergen abgelöst wird. Besonders Neuwied hebt sich durch sein schachbrettförmiges Straßenmuster von den anderen Städtchen heraus. Als Residenzstadt folgt es Karlsruhe oder Mannheim in kleinerem Maßstab. Der Rhein macht hiereinen großen und breiten Bogen , der einem Schloß und schönen Promenaden Raum läßt.
Die Talenge macht sich bald für Radfahrer bemerkbar: auf beiden Ufern sind die Bundesstraßen strichweise für 2 Räder gesperrt – man fädelt sich dann durch Unterführungen und Bahntrasssen auf Ersatzwege, die ursprünglich als Wirtschaftswege der Weinbauern angelegt waren.
Jetzt sind es sauber geteerte Abschnitte, ausgiebig beschildert. Es gibt Ausflugsdampfer auf dem Wasser und auf Asphalt, in Gruppen ziehen Wanderer über die Weindörfer. Verblassende Inschriften in Frakturschrift zeugen von der alten Tradition weinseliger Ausflüge.
Man grüßt und zieht gut gelaunt aneinander vorbei.
An dieser Kreuzung in Bad Hönningen muß ich die B42 verlassen. Einige Jahrzehnte stehen diese Schilder unverändert – fast sieht es aus, als habe man sie vergessen, diese Zeitzeugen: für den Fernverkehr hatten Bundesstraßen lange die größte Bedeutung. Heute überlässt man sie Amateuren. . . .
In der Kette der Weindörfer und Kurorte ist nur in Bad Hönningen Industrialisierung zu erkennen. Eine kohlensaure Quelle wird seit Ende des 19 Jahrhunderts genutzt, um Bariumsulfat aufzuspalten und Grundstoffe der chemischen Industrie zu produzieren. Auch heute zeigt die kleine weiße Wolke über der Solvay Fabrik deren ununterbrochene Aktivität. Der Arienheller Sprudel aus dieser Quelle ist ein Nebenprodukt für die gehobene Gastronomie.
Ein Wasserturm im Stil des deutschen Backsteinexpressionismus hat als Funkmast eine zweite Versorgungsfunktion übernommen. Danach wieder Weinberge, Geststätten, Obstwiesen.
Linz am Rhein : Radfahrer ruhen im Schatten der Promenadenbäume, während sich von der Remagener Gegenseite die Autofähre in Bewegung setzt. Gegenüber liegt die kleine Stadt mit ihrem mittelalterlichen Kern und den hier und da erbauten Sommervillen bürgerlicher Gründerzeit.
Gleich wird die gemächlich tuckernde Dieselfähre Autos und Motorräder an Deck nehmen, die jetzt in voller Sonne auf der abschüssigen Rampe warten.
Fußgänger und Radfahrer genießen die Schatteseite auf der Gangway, während sich die Fähre zwischen zwei Frachtkähnen über den blauen Fluß schiebt.
Zwei Männer kassieren zwischen Autos und Motorrädern die Passsage – es wird in Bargeld abgerechnet. Eine Frau reinigt in Ihrem weißen Cabrio mit einem Vlies das Display ihres Smartphones, Männer im besten Alter in schwarzer Lederkluft unterhalten sich über Details der Motorräder, mit dem sie ihren Sonntagsausflug machen.
Die Ausflugslokale am anderen Ufer sind gut besetzt, Wespen umschwirren bunte Getränke. Es herrscht ein reges Uferwechseln von Fahrzeugen. Promenade mit Rondell und Brunnen.Nur wenige Kilometer entfernt dann die stattliche Remagener Promenade, eine lange Folge von Wirtshäusern, Pizzerien und Cafés. Hier herrscht der Charme der Nachkriegszeit ungebrochen und auf dem Rad habe ich das Gefühl, eher jung zu sein. Vorsichtig schlängele ich mich durch Sommerfrischler auf dem Weg zum Drittbier.
Einen Tag später das gleiche Bild, als ich aus den Obstbaugebieten um Meckenheim wiederkehre. Es ist noch wärmer geworden und noch mehr Menschen füllen die kleine Stadt, in der ein Kunstgewerbemarkt mit Tombola den Sonntag verschönert.
Das Carraciola Denkmal verharrt auf Basaltstelen, leicht Abseits des Trubels. Rudolf war ein Sohn der Stadt, einst internationale Legende ist sein Name langsam verblaßt. Dabei steht er für die große Zeit Remagens und seines Sports, der in hellen Rennoveralls ohne Sponsoren und mit weißen Staubkappen betrieben wurde. Automobilisten waren die Ausnahme, Automobilisten waren die Zukunft, als in Remagen die prallgefüllten Rheindampfer stündlich anlegten. „Ihr guter Stern auf allen Straßen.“
Auf den Ausflugsdampfern bleiben die Oberdecks heute fast unbesetzt, die Passagiere blicken hinter getönten Scheiben aus klimatisierten Räumen auf die dichtbesetzte Promenade.
Eine Schweizer Radwandergruppe hat die kleine Fähre bestiegen, die nur fürs Fußvolk gedacht ist. Man knuddelt sich, während Frachtkähne dieselblubbernd Vorfahrt genießen. Es ist heiß hier . . . und – es passiert nichts.
Warum ist es am Rhein so schön? Seine große Zeit erlebte dieses blaue Band zwischen Bonn und Bingen seit den 1920ern, weil die Bahn den arbeitenden Massen hier günstige und schnelle Erleichterung ihres Alltags verschaffte. Die Winzer der Ahr, so geht die Fama, hätten nicht einmal auf die Qualität ihrer Weine achten müssen: getrunken wurde alles. Die Tanzlokale waren die Ballermänner der 30er, 50er und auch der 60er.
Ob der Rhein zu alter Größe weiderfindet? In diesem Monat sinkt sein Pegel Tag für Tag, für die kleine Fußgängerfähre wird es reichen – für die großen Kähne wird es allmählich knapp.
Oben dann wieder die maßgeblichen Pegelstände, beruhigt ziehe ich in die Wälder zurück.
Backsteinexpressionismus – wieder was gelernt!
Vielen Dank fuer die lebendigen Impressionen und viele Gruesse aus dem Yukon. 🙂
Luisa
Den Ausdruck habe ich aus dem Gedächtnis gezerrt. Das Chile Haus in Hamburg ist dafür ein bekanntes Beispiel. Der Archtiekt Fritz Höger hat in diesem Stil gebaut. War eine Formsprache, die sich vermutlich ganz bewußt von den Totalverrundungen des Jugendstils und Lianen des Art Nouveau abheben wollte. Was ja mit Backsteinen keine Kunst ist . . .Gruß an den frischen Yukon.
Backsteinexpressionismus war die Alternative zu weisser Moderne und Art Deco. Kann die kleine Architekturbuchreihe „Fragments of Metropolis“ nur empfehlen.
Gute Fahrt!