Die erste Frage: nach dem Mond. Kommen wir wieder über die Lahn zurück – wenn der Weg fast auf Wasserhöhe an ihr vorbeiführt und der Mond sich spiegelt? Diesmal nicht – wir hoffen auf Sonne und Goldstrahlen.
Diesmal sind wir zu sechst und fahren für die zweite Ausgabe der Westerwaldrunde eine neue Strecke: gleichlang (200), weiter nach Norden, über den hohen Westerwald in die Kroppacher Schweiz, zurück über Altenkirchen und von dort ins Sayntal zum westlichen Wendepunkt. Kurz vor 8 am Stadtbahnhof Limburg. 8. Oktober, eine der letzten Möglichkeiten des Jahres, 200km bei Tageslicht zu fahren.
Der Herbst streckt seine Fühler aus – beinahe hat es in den letzten Tagen gefroren. Die Sonne steht immer tiefer, die Erde wird nicht mehr warm, lange bleibt es feucht im Gras, der Atem dampft vor uns her. Die Täler sind eine neblige Masse, durch die unsere kleinen Lichter glühen.
Das wattierte Lahntal lassen wir bald unter uns – auf zur ersten Sonne mit Taunusblick Süd und Westerwaldblick Nord. Die erste Stufe. Kurz wird überlegt, ob es sich lohnt Jacken und Handschuhe abzustreifen. Wolkenbänder aus NNW in großer Höhe lassen zweifeln – da bleibt die Überkleidung besser an.
Hier sind wir knapp auf 200 Metern und wollen fast auf 600, da sind es dann 3 Grad weniger. Hinter Rennerod liegen die Wolken oft so tief, daß man denkt, es regnet leicht. Bis dahin 30km.
Wir wissen schon, daß wir Glück haben heute – der Sommer liegt weit hinter uns, die ungemütlichen Tage weit vor uns; ein schönes Wiedersehen, alle sind guter Dinge. Keine Pannen (kommen gerne anfangs) und allmählich hinauf Richtung Rennerod, der kleinen Stadt ohne Plakatwerbung. So gehen die ersten Stunden in die Tiefe des Landes.
Das Marschall habe ich gestern auf den Kopf gestellt. So komme ich leichter an die Mechanik der Schalt/Bremshebel – das sind kleine flache gezahnte Scheiben, die die Rastung besorgen, wenn Gänge geschaltet werden. Mit einem sehr feinen Schmieröl namens brunox hineingesprüht und in der Sonne ruhen lassen. Die Wirkung ist verblüffend – mit leichtem, genauen Geräusch fallen die Gänge jetzt ein, wechseln die drei Ketteblätter hinauf und hinunter. Die Technik, Schaltungen in Bremshebel zu verlegen wurde Anfang der 1990er Jahre entwickelt und immer weiter verfeinert. Bis auf gelegentliche Verharzungen (totstehen) funktioniert sie ewig. Nun bemüht man sich, das Prinzip mit elektrischer Steuerung zu vermarkten. Heute drei Kettenblätter, um nie in den roten Bereich zu kommen, um plötzliche kleine Anstiege aus der Talsohle ohne harte Anstrengung zu meistern. Grundlagenausdauer.
Dann Rennerod, Stadt ohne Plakatwerbung, wärmen wir uns auf und füllen die Mägen für die kommenden 70 Kilometer. Denn die Frankfurter Gäste sind schon länger auf, die kleine Regionalbahn braucht über eine Stunde. Gut daß sie fuhr: in Norddeutschland – hören wir über die Lautsprecher des kleine Cafés – wurde der Schienenverkehr durch Sabotage lahmgelegt.
„Vor dreißig Jahren bin ich das letze mal hier vorbei gekommen -es hat sich nichts verändert!“ ruft Armin in der Gegend von Bad Marienberg, als wir es auf die Höhe geschafft haben. Die Häuser des Straßendorfs sind mit Schindeln diverser Form gedeckt – Wind und Wetter haben hier das Sagen. Oben läuft die Chaussee quer durch den Westerwald, dahinter geht es zur anderen Nister, die erste, die schwarze, fließt in unserem Rücken an Bad Marienberg vorbei.
Über den Kamm und seinen lästigen Verkehr mit einem Hauch Nieselregen ins Tal. Einer sagt: eben fuhren wir 80 – das glauben wir gern. Hier noch ein wichtiger Turm – ebenfalls geschindelt. Die Elektrifizierung liegt vielleicht hundert Jahre zurück.
Jetzt auf der Nordseite des großen, flachen Basaltkegels; vielleicht war er hier weniger hart, denn die Täler sind tiefer eingekerbt und das Wasser windet sich phantasievoll hindurch, statt einfach abzufließen. Die Nister spielt verstecken und erzeugt das sogenannt „malerische“ der Kroppacher Schweiz, wiewohl ich in den Jahren nicht einen Maler gesehen habe.Sie ist benannt nach dem Dorf, das über dem Geschlängel der 2 Nistern liegt, die sich auf dem Weg ins Siegtal wieder vereinen und uns
Gelegenheit zu immer neuen Abfahrten und Anstiegen gibt. Nach jedem Aufstieg verändern sich die Horizonte. Triple chainring rules auch bei unserem anglophilen Koordinator Olaf.
Die Dörfer in den Falten der Landschaft wirken in sich gekehrt, Wirtschaften und Campingplätze haben geschlossen und Pensionen erwarten heute keine neuen Gäste. Für die Motorisierten ist die Wetterprognose zu frisch – wir sind die letzten Trupps auf zwei Rädern in dieser Zeit .
Der Regen der letzen zwei Wochen hat das Gras wieder grünen lassen. Diesen Monat wird es noch ein letztes mal gemäht, das Winterfutter ist teuer geworden. Kleine Sonnenflecken brechen durch – der Tag lächelt. Den Westerwald sollte man nicht für einen großen Wald halten, es gibt diesen nur strichweise, vor allem an den steilen Hängen; der Wind aus dem Lied gilt den jetzt gerodeten Hochflächen, die aufgeforstet, vom Käfer zerfressen und dann wieder aufgeforstet werden über die Jahre.
Diesen (ruppigen) Westerwald haben wir hinter uns. Im Grunde ist es eine liebliche Kulturlandschaft, nicht üppig, auch nicht schroff und haidig – eher wiesig und grün.
Für uns Radfahrer schafft eine Kette schöner, nicht zu schwieriger Passagen mit immer neuer Aussicht. Bei Stein- Wingert die letzte Abfahrt zur Nister hinunter, die an einer steinernen Stufe sanft gestaut wird.
Dann beginnt der lange, allmähliche Anstieg zum Beulskopf, eine sanfte Erhebung, die im Norden von Altenkirchen die Wasserscheide zwischen Wied und Sieg bildet – der Photograph August Sander, machte in seinen ersten Berufsjahren Porträts und Familienbilder der Bauern, Kinder und Honoratioren in den umliegenden Dörfern – inzwischen sind tausende davon ins Getty Museum emigriert, der online-Abruf dieser Bilder ist eine Fundgrube, manch einer hier wird seinen Onkel darin wiederfinden.
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Für uns ist hier die Nordkehre der Tour. Ein hölzerner Aussichtsturm (und Funkmast), der das Land weit überragt und Ausblicke von 30 Kilometern in jede Richtung erlaubt und nach Raiffeisen benannt – dem eigentlichen Erfinder des Mikrokapitalismus. Posthumer Nobelpreis erbeten.
Wir sammeln uns, lehnen die Räde an die Betonfundamente und schieben jetzt, nach etwa 90 Kilomtern ein paar Riegel nach. Leichter Sonnenschein, Friede. Niemand leidet, keiner hat Probleme mit Rad oder Körper: die meisten Höhenmeter liegen hinter uns. Wir merken, wie gut wir es haben.
Vor gar nicht allzulanger Zeit (jedenfalls nach meinem Gedächtnis) war an Gaststätten der Zusatz „gutbürgerliche Küche“ weit verbreitet – oft unter einem Schild der
Bitburger Brauerei, von der ein Schenk erhaben herablächelte . Solche Schilder sind selten geworden und der kleinen Gruppe, die jetzt mittaglich auf Altenkirchen zugleitet, wären sie eine willkommene Attraktion. Ein Schenk mit Krone, der uns lächelnd empfängt. Aber in Altenkrichens einst stolzer Mitte wird sich nicht viel finden lassen – Mariana Lekys verklärter Blick sei ihr verziehen – wir ersparen uns die Enttäuschung einer Deutschen Kreisstadt im ersten Viertel des 21ten Jahrhunderts.
Stattdessen gönnen wir unsere Zeit einem „imperialkapitalistischen“ Grillfleischanbieter, der schnell und schmucklos die hungrigen Reisenden der B8 versorgt. Mildes Wetter läßt uns auf der Terrasse Platz zu nehmen. Nicht unfreundlich, aber definitiv rustikal – der internationale Stil.
Kurz zuvor lüften wir noch das incognito dieses Hauses. Hinter dieser Fassade entstanden alle Rahmen, die Meister Lauer von 1970 bis 1993 lötete.
Heute erinnert nichts mehr daran… (bild – ebKa) Gutbürgerlich, ein begriff fürs Lexikon.
Das Altenkirchener Wiedtal ist durchquert, wir nehmen Kurs Südwest, Wind von seitlich vorn. Armin ist Richtung Flammersfeld abgezweigt, wir bilden nun ein Quartett.
Abkürzen über die umliegenden Denkmale und Dörfer, werden in Selters dann die Sayn sehen. Paarweise bewegen wir uns in Sichtweite und unterhalten uns, finden wieder zusammen, reden und kurbeln weiter. Es harmoniert, niemand überreizte sich in der Kroppacher Schweiz und die kommenden Kilometer haben viele Abschnitte, auf denen wir ungestört nebeneinander fahren können.
Nach Selters wird das Sayntal breiter und bietet Rennradfahrern mit einer sanft abfallenden, 30 Kilometer langen Straße ein Eldorado. Trotz Sonne heute ein Ort der Ruhe. Ganz unmerklich hinunter zur Rheinebene – sicher einer der ältesten Wege in den Westerwald.
Ein oder zwei Kollegen auf 2 Rädern haben wir dann doch noch gegrüßt – ab oktober werden sie eben rar und ziehen sich auf Rollentrainer in die Kellerbar zurück.
Bis zur Kehre in Isenburg üben wir Windschattenfahren. Dort dann, geht es von der Talstraße ab in den Hang,
nach ein, zwei steilen Kurven der Ausblick über die Talenge, die die Herren von Isenburg (die Burgruine bezeugt es) zur Mehrung ihres Reichtums nutzten.
Wir richten unsere Blicke wieder nach vorn, die fast alpine Steigung ist nach den flachen Kilometern ein markanter Wechsel für die Muskeln, ein guter Formtest. Er endet auf der Höhe in der Sonne.
Und damit ist das gröbste in dieser Tour geschafft. Die Sonne strahlt flacher, aber sie bleibt noch, um unsere Rücken zu wärmen. Ganz unmerklich schiebt der Wind uns die letzten dreißig plus Kilometer über eine schmale, unscheinbare Straße die Dörfer wieder hinauf ins Quellgebiet des Saynbachs.
unterwegs mit Klaus und seiner Heldenkurbel: echte 52×42. Er fragt er mich nach einer Kapelle vom Architekten Zumthor, die er hier in der Gegend vermutet. Diese Kapelle habe Zumthor um eine Holzschichtung aus gestampften Beton errichtet und die Scheite darin verbrannt, damit die Hitze den Beton von innen forme und deren ausgeblasene Asche den Raum schließlich freigibt. Leider liegt die Kappelle ( https://de.wikipedia.org/wiki/Bruder-Klaus-Feldkapelle ) auf der anderen Seite des Rheins – in der Eifel.
Im schmalen Insel band 274 erwähnt Okakura die taoistischen Vorstellung zur Nützlichkeit eines Raumes. Mehr als dach und mauern zähle das Umschlossene, der geschaffene Raum, dieser erst sei nützlich sei, ihn gelte es zu füllen.
Wir haben jetzt unseren Raum durchmessen, einen Kreis mit dem Umfang von 200 Kilometern. Wir haben unseren Brennstoff aufgezehrt und der Mond ist tatsächlich gekommen, uns zu verabschieden. Was ist unser Gebäude, was hinterlasen die verbrannten Kalorien für einen Raum:? Das Erlebnis vermutlich.
Gibt es eine bessere Empfehlung diese Region mit dem Rad zu erkunden, als dieser, auch wunderbar bebilderte, Beitrag? Ich glaube nicht.
Auch einen Besuch der Bruder-Klaus-Kapelle kann ich nur wärmstens empfehlen. Die Atmosphäre des Innenraumes hinterlässt einen tiefen und bleibenden Eindruck.