Aufstieg eines Krisengewinners – zum unaufhalstamen Erfolg des E-Bikes (2022)

ac1Als ich 2018 im Siegerland auf einem Brevet zur Lahnquelle unterwegs war, konnte ich  es kaum glauben: im Minutentakt überholten mich an einem sonnigen Samstag Automobile, am Heck meist 2 neue elektrische Räder, die sie den Berg hinaufschleppten . Später, an den einschlägigen Cafés auf der schönen Kuppe im Rothaargebirge, sah ich sie dann einträchtig bei den fossilen Motorrädern stehen. Dazu also waren sie gut. Ich habe etwas gebraucht, um es zu verstehen.

Jetzt, vier Jahre und viele Millionen elektrischer Räder später, lohnt sich eine Betrachtung ihres Aufstiegs, weil er so vieles über uns und unsere Zeit sagt

ac6Denn gerade geht  alles sehr schnell. Die Pandemie – deren Ursprung weiter im Dunkeln bleibt – neigt sich der Endemie zu, die Mutanten kann niemand mehr zählen, und nur das Versprechen, daß der Impfstoff von biontec gegen weitere Formen schützt, bewahrt die Aktie von höheren Verlusten.

Die Welt hat den Panik-Tunnel verlassen und muß feststellen, daß hinter einem bewältigten Problem viele Neue warten. Die künstliche Verknappung des Energieangebots durch einen Gasförderer hat  einen Dominoeffekt ausgelöst, der sich als Preisschock durch die Welt fortsetzt. Gleichzeitig wünscht sich dieselbe Welt nichts sehnlicher, als das Ende fossilen Energieverbrauchs.

1acDen Beteuerungen, das Klima zu retten, steht unverminderter Energiehunger der Cloud Ökonomie für „neuen“ Wohlstand gegenüber ; die verkündete Verkehrswende strafen tägliche Meldungen vom Autobahnkollaps lügen. Staumeldungen sind Pegelstände des Wohlstands. Wir fürchten Feinstaub, Co2, doch sollten die Räder der 14 Millionen „pendelnden“ Automobile stillstehen, dürfte der Ofen aus sein. Unter einem heißer brennenden Stern, einem immer blaueren Himmel und sinkendem Grundwasser schuf unsere Zeit ein Produkt, das alles auf den Punkt bringt. Das E Bike.

ab5Wenige technische Entwicklungen illustrieen die inneren Widersprüche der (alternden!) europäischen Mittelklasse besser, als der (unaufhaltsame) Aufstieg des E Bikes. Als muskelgetriebener „Systemrivale“ auf  dem Lahntalradweg kann ich bezeugen, Akkumulator und Antriebsmotor haben das Rad förmlich neu erfunden und vermehrt – seine Nutzung aber nicht. Im Herbst wird es sehr leer um mich herum. Sorgfältig achten ElektroRadler die Rollenverteilung der Mobilität. In „entwickelten“ Ländern (die, in denen Zweitwagen und Flugreisen die Regel, nicht die Ausnahme sind), legt der Boom an heckgepäckträgern ihrer Automobile Zeugnis davon ab. Die elektrifizeirte Variante des  Produkts ist zum Gamechanger der Fahrradindustrie ohne Einbussen der Autonidustrie geworden.

ac8Die Fahrradindustrie musste das elektrische Potential noch zu Umsatz machen, das war die Aufgabe. Das Gefährt der Verarmten, Verweigerer, Kinder und Rentner wandelt sich – abgesehen von den Sport- und Lifestylenischen – zum „grünen“ Statusgut. Als Zierpflanze, denn das Rad bleibt ein Anhängsel unter den Verkehrsmitteln . Statusgut, weil das elektrisch angetriebene Rad nicht  trotz, sondern wegen seines Preisfaktors 5-10 verglichen zum Stadtrad nachgefragt wird – und weil es das im Betrieb günstigste Motorfahrzeug ist.

Die Hersteller konnten ihr Glück kaum fassen, als ihr Produkt „Pedelec“ plötzlich sein Odium als Vehikel gebrechlicher Rentner ablegte und Muskelscham sich in Besitzerstolz wandelte. Von einer Saison auf die andere wechselte ein Fahrzeug, das früher den Balanceakt zwischen niedrigen Kosten und Funktionalität erforderte – 2Räder durften nie teurer als motorisierte Fahrzeuge sein – sein Wesen. Der Wechsel kam ungefähr ab 2017, ein teures Fahrrad wurde begehrenswerter als ein billiges. Dank des Sonderstatus für Fahrräder mit elektrischem Hilfsmotor gab es eine neue „reason why“, um im Vertriebsdeutsch zu sprechen. Ohne Helmpflicht muß niemand mehr um die Frisur fürchten. Ohne Nummernschild und Führerschein – beides für ein 25km/h Explosions- MoFa vorgeschreiben –  war die Freiheit grenzenlos, vor allem aber kostenlos. Für Verkäufer kam es darauf an zu vermitteln, daß es sich eben nicht um ein Fahrrad handelte, sondern um etwas unendlich potenteres. Ein Mofa ohne den Lärm und die Gebühren des Mofas. Ein grünes Mofa.

ab6Ein EBike wurde zu dem was das Biosiegel für Lebensmittel war: ein Artikel zum ökosozialen Ablasshandel. Das war gut, doch es kam noch besser.

ac2Zum definitiven Durchbruch verhalf  dem ElektroRad  2019/20 ein völlig unvorhersehbarer Grund. Sars CoV2, der Erreger, der die sonstige Volkswirtschaft lähmte, war ein Lottogewinn. Anders, als in der ersten Pandemiephase von Soziologen und Pandemieforschern behauptet, führte die Seuche nicht zu mehr Solidarität und sozialer Nähe. Im Gegenteil, es galt, sich in Techniken sozialer Distanzierung zu üben: Maskenpflicht, Kontaktsperre, Sicherheitsabstand. Dazu öffentliche Verkehrsmittel meiden, keine Flugreisen, keine Zugreisen, keine Schiffsreisen. Nichts da, keine individuelle Freiheit…  Daheim ins Grüne fahren!

Win Win:  der Kunde blieb trotz Pandemie mehrheitlich gesund und lebenslustig, der Fahrradladen hat trotz Kontaktbeschränkung mehr Umsatz denn je, wenn seine Bonität für die Teilhabe am Boom gereicht hat. Den Fahrradpark gibt es nur auf eigene Rechnung.

ac4Jetzt ist sie definitiv da, die neue Zeit der elektrischen Antriebe, allmählich verändert sich das Umfeld. Die Welt der Fahrradläden muß dem Statuszuwachs seines Erfolgsmotors folgen. Aus Bastelbuden werden Servicecenter für Räder, die Mechatroniker beschäftigen. Mit der einstigen autarken Welt des selbstflickenden Ökozausels haben diese Räder wenig gemein.Weg mit den Freaks. Hier handelt es sich um anspruchsvolle Produkte für Erwachsene, die Dienstleistung erfordert geschultes Personal, damit die Garantie nicht erlischt.

ac7Dies soll (bei aller Verwunderung) keine Polemik sein – lediglich eine Bestandsaufnahme, die Gründe und Konsequenzen einer Entwicklung benennt. Es ist der wehmütige Abgesang auf ein unglaublich nachhaltiges Produkt, das nun in der Nische der Armen, bedürftigen und mehrheitlich Zugewanderten abgeschoben wird. Ein Produkt, für das die Ersatzteile demnächst vom Schrott geholt werden.

Wer für die Folgekosten seines E bike einsteht hat beim Händler Vorrang. Die Besitzer des ökologischen Muskelrads werden dagegen zum buckligen Verwandten, der eine Werkstatt nur Zeit kostet. Die Autarkie des klassischen Rades, die sich der einfachenWartung und Reparatur verdankte, wird der Logik der Elektromotorisierung geopfer. Dem kann sich ein Händler nicht entziehen, wenn er überleben will. Eine bessere Möglichkeit dem Fluch des Schweisses und privates Greenwashing der eigenen Mobilität zu betreiben, gibt es nicht. Die 14 Millionen Pendler in Deutschlands (meist topfebenen) Ballungsräumen sitzen weiterhin in Karossen, Jobrad hin, Jobrad her. Sie werden auch noch eine ganze Weile weiterpendeln und vielleicht sind es  – eines tages –  nur noch 13 Millionen. Leider rechnet uns gerade niemand ein stark schwindendes Verkehrsaufkommen vor. Seht die Lichterketten auf der A3 und zählt innerlich mit.

ab8Das EBike wird zum Abbild einer (trotzigen?) Weigerung der Erkenntnis, daß Veränderung der Welt auch Änderung eigener Gewohnheiten fordert.  „Es ist jetzt alles gut so, wie es ist“. Ausnahmen bestätigen die Regel.

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