Midcult: wenn Kunstwerke zu absolutem Geld werden

Es war Anfang des Jahrtausends. Die Zeitschrift Monopol war noch nicht gegründet, nur ein feiner Imbiss neben dem Landgericht Moabit trug diesen Namen. Dort hörte ich  den Ausdruck „midcult“ zum ersten mal. Kunst, daß sei jetzt midcult, sagte der eine Referendar zum anderen. Sie nickten einander wissend zu.

dat31 Jahrtausendwende ; die Generation Golf steckt in den Startblöcken ihrer Karriere. Konsum haben wir, Design ist durch, jetzt kommt Kunst. Ein Verhandlungsgegenstand im innern der frisch bezogene Eigentumswohnungen rund um den Landwehrkanal, oder Einfamilienhäusern weiter draußen. Damals, als Berlin noch nicht wirklich durchdrehte mit den Immobilien.

Von der Zahl kleiner Ausstellungen moderner Kunst  in der Stadt zu urteilen, war das schon ein Trend. Es gab Vieles und Verschiedenes. Manches war war improvisiert (oder sollte so wirken), vor allem Galerieräume und Ausstellungsflächen gab es in guter Mittellage immer wieder. Ein Phänomen im Kleinformat und für begrenzte Zeit, noch nicht völlig im Geiste der Rankings von Künstlern und Auktionsergebnissen. Jahre, bevor Player ganze Bunker in der Stadt bezogen. Die Jahre, von denen die Generation Golf bald schwärmen wird. Kunst also.

aa1Um die gleiche Zeit gehen die Erben der Firma Picasso auf den Deal ein, ihren guten Namen einer Linie von Automobilen zu leihen . Das funktioniert ertragreich bis zum heutigen Tag und ist vielleicht ein gutes Indiz. Signaturen als universell anerkanntes Kapital, verwertbar auf Prozellantassen und Autotüren. Und in diese Zeit fällt auch die Entstehung von Donna Tartt „Distelfink“, ein Buch , an dem sie zehn Jahre arbeitet.

ab2Wenn ein Roman von über 900 Seiten sich um ein Kunstwerk aufbaut, dann muß es schon eine große Kraft besitzen. Donna Tartt zumindest schreibt dem kleinen Bild „der Distelfink“ von Carel Fabritius die Wirkung zu, nicht nur das Leben der Hauptfigur sondern auch der Umgebung auszurichten;  – was schon in die Logik eines midcult geht, am Ende nur noch Kunstwerken eine Aura zuzuschreiben. Der Plot des 2013 veröffentlichten Romans ist einfach: ein Anschlag verwüstet in New York ein Museum, macht einen Jungen (13) zum Halbwaisen und läßt ihn im Chaos mit dem kleinen Bild unter dem Arm entkommen.

Schnell wird ihm klar, daß das Bild Unsummen wert ist und sehr gesucht. Auf dem nun folgenden, epischen „coming of age“ – Weg führt er es bei sich, immer irgendwo versteckt, egal wie prekär die persönliche Situation ist.  jahrelang hält er es versteckt, bis er bemerkt, daß er es nicht mehr besitzt.

Die Autorin nutzt die Schauplätze der Erzählung weidlich, um gesellschaftliche Depraviertheit mancher Art zu schildern. Wir werden Zeuge von alkoholisierten, spielsüchtigen Vätern, Pflegeeltern mit Luxusverwahrlosung in Manhattan, sowie einer beginnenden jugendlichen Suchtkarriere mit einem ukrainischem Kumpel als sidekick. Im Hintergrund das Bild  – und irgendwo auch die reine, große Liebe in Form eines Mädchens, deren erwiderter Blick im Museum kurz vor der Explosion der Bombe zum zweiten, parallelen Faden der Handlung wird.

ab1Dieses Mädchen, (nach der Mutter einzige Person, die eine konstante Liebesbezeugung erfährt ) tritt sporadisch auf, erzeugt Wallungen von Sehnsucht und Glück. Der junge Mann aber, inzwischen selbst gerissener Antiquitätenhändler, wird am Ende nicht für sie, sondern nur für das Bild sein Leben aufs Spiel setzen.

Das alles wird gewürzt mit kunsthistorischen Andeutungen, perlender Kennerschaft, geschmackssicheren Apercus etc. etc. . Dinge, die in den absurden Statuswettbewerben von downtown Manhattan zum Spiel gehören. Voller Überzeugung, es gehe um das Kunstwerk, die Schönheit,  Kunst an sich. Im Abgang leistet sich der Roman seitenlange philosophisch – psychologische Ansätze und Erklärungsversuche. Das hätte hat das Werk nicht gebraucht.

dat2Man sollte es tiefer hängen, sagte schon der alte Fritz und auch beim Bruch des Jahrhunderts sah man das vermutlich ähnlich. Der Einbruch ins Grüne Gewölbe, Dresden, zeigt vor allem eine Verbindung von Hoher Kunst und schnellem Profit. Geht es im Distelfink um Ideelles und nebenher Pfandgeschäfte, bei denen das kleine, handliche Bild immer wieder als Sicherheit für schwere Deals benutzt wird, findet bei den Juwelenräubern wahrscheinlich ein anderes Geschäftsmodell Anwendung.

Während das gestohlene Meisterwerk seinen Wert als Sicherheit, als Erpressungsmittel, als Verhandlungsmasse ausspilet, surft es auf dem midcult : alle (also eine möglichst große Öffentlichkeit)  wollen das Meisterwerk bewahren, damit bleibt zugeschriebene Wert stabil .

Anders liegt die Sache, wenn riesige Smaragde oder Diamantencolliers geraubt werden. Die Kriminellen, denen niemand „Kunstsinn“ als Motiv unterstellt, nutzen gar nicht erst den fetischistischen Charakter der Beute, sondern verwerten sie direkt, greifen nach dem Material. Diamanten sind Diamanten, sie aus Gruben zu fördern ist viel schwieriger. Vielleicht ist der Raub im grünen Gewölbe auch ein düsterer erster Schritt in eine Welt, bei der Museen eben keine zugänglichen, öffentlichen Orte mehr sind, oder ihre Schätze der Öffentlichkeit ganz verschließen , Kulturauftrag hin oder her. Gleichwie.

ab4Donna Tartts Roman wäre bald ein überholtes Werk, wenn die Feder im Uhrwerk, das geraubte Werk, nicht mehr spannt . Sobald „der Distelfink“ als etwas Austauschbares wahrgenommen wird, sobald es keine gierigen Erben und gerissene Kunsthändler gibt ein Original zu jagen, sobald Kunst aufgehört hat midcult zu sein, oder Distinktionsmerkmal der upper few, verlöre die Erzählung ihre Antriebskraft.

Ist dieser Fall wahrscheinlich? Die Säulen von Palmyra,  Panzergranaten auf Buddhafiguren; die Diamanten von Dresden könnten  nahelegen, daß unter Raubkunst etwas ganz neues zu verstehen ist.

Donna Tartt hat einen sehr erfolgreichen Roman geschrieben. Ihr gelingt, auf  900 Seiten den Rhythmus zu halten, in einem Fluß zu bleiben.  Metaphern, streifen durchaus haarscharf am Klischee vorbei, das namedropping von Hemdenmarken erinnert stark an Popliteraten der Nuller-Jahre, die Mechanik der Handlung kommt stellenweise hölzern um die Ecke.

Zwei Dinge sind herausragend und helfen, von den vielen Seiten gefesselt zu bleiben: die  innere Welt eines labilen Charakters und die Präsenz der geschilderten Umgebungen, seien es die Wüstenpanoramen von Las Vegas oder die Atmosphäre des Central Park und seiner Anwohner. Eine Welt in der kein Protagonist eine intakte persönliche Beziehung zu leben scheint, gleichzeitig voller Gier.

Der Focus des Buchs liegt ganz auf dem Meisterwerk von der Größe einer DinA 4 Seite. Nur dieses hat Bestand, sein Wert bleibt. Bei Menschen kann man sich nicht sicher sein.

dat3Ob midcult oder nicht, ob die Menge der Fans abnimmt oder nicht. Die Zahl der Bewunderer hat für den wichtigsten Aspekt, den immensen Wert eines Kunstgegenstands, sei es ein Bild, sei es  Ei von Fabergé, eine völlig untergeordnete Bedeutung. Auch die Kenner und Liebhaber sind nur Statisten in einem anderen Spiel .

Denn je näher man (im Roman) dem Bild kommt, desto unmittelbarer seine Entdeckung und Rückgabe naht, desto klarer wird seine Funktion. Es ist Geld in absoluter Form, ähnlich wie die Million-Pfundnote von Mark Twain. Es dient als Pfandgeschäft im Drogenhandel, bildet die Garantiesumme mehrerer illegalen Transaktionen. Sollte es dazu nicht taugen, kann seine „Entdeckung“ immer noch als Lösegeld monetarisiert werden. Die Diamanten von Dresden die verschwundenen Goldmünzen stehen in  primitiver Konkurrenz zu den gestohlenen Van Goghs oder Picassos oder Piero della Francescas. Diamanten oder Gold dienen gleichfalls als Quasigeld, als Ersatzwährung, ihr Wert aber beschränkt sich auf den nackten Materialwert zum Tageskurs minus Abschlag.

DSCF6305Um die Zukunft solcher Parallelwährungen ist es nicht schlecht bestellt. Die globale Welt ist immer schon voller illegaler Transaktionen gewesen. In einer Zeit konkurrierender Machtsphären, Ölembargos, unkontrollierter Waffengeschäfte, weltweiter onlinewetten und kolossaler Drogenbewegungen ist Geldwäsche ein enormes Problem geworden.

Allein der Drogenhandel ist eine globale Parallelwirtschaft für sich. Dringend werden Möglichkeiten gesucht. Allein, jede Kryptowährung kann decodiert oder liquidiert werden, elektronische Transfers auch Jahre später rückverfolgt. Der physische Transfer von Geld über Kontinente bleibt darum ein ungelöstes Problem. Ein Zimmer voller Monets, ein kleiner Koffer voller Diamanten dagegen sind Valuta, die ganz ohne Bewegung funktionieren.

Sie sind dem Großkapital das, was dem kleinen King der Reeperbahn eine mit Edelsteinen besetzte Uhr ist: das As im Ärmel, sofortige Kreditwürdigkeit. Um Kredit, um Vertrauen – darum geht es , je weniger davon vorhanden ist.

Bei Donna Tartt wie im echten Leben.

 

 

 

 

 

 

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6 Antworten zu Midcult: wenn Kunstwerke zu absolutem Geld werden

  1. mark793 schreibt:

    Den Begriff „Midcult“ lese ich zum ersten Mal, da scheine ich als Nichtberliner doch was verpasst zu haben. Wobei es die einschlägigen Galerien und Happening-Locations (obschon in geringerer Anzahl) auch in der Kurpfalz-Metropole gab. Und ja, das Lebensgefühl „so, die Altbau-Butze ist renoviert, jetzt kommt Kunst an die Wand“ wogte auch durch die Provinz. Wobei ich sagen muss, dass mir mein erster Bilderkauf auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert beim Betrachten immer noch Freude macht. Irgendwann werde ich die Anekdote, wie ich zu diesem Bild kam, mal verbloggen.

  2. crispsanders schreibt:

    Ja, eine interessante Zeit, diese Jahrzehnte, bevor die Hohenzollern Restitutionsansprüche stellten… Dieser 90- 01 Umbruch war natürlich in Berlin am spektakulärsten. Interessanterweise gab es nämlich erst eine Immobilien Fehlspekulation, ja eine gehörige Hauptstadtskepsis. Viele Botschaften waren noch nicht gebaut, die Welt im Grunde noch stark in Blöcken orientiert und Kapitalanlagen hatten noch viele Verzinsungsoptionen. Die kleine Dotcomblase hat weiter retardierend gewirkt. Dann aber ging die Post ab.
    man kaufte Eigentum für die Westkinder (das Schwabensyndrom) und Kunst dazu, auch weil der Kunstmarkt rasante Preissteigerungen hatte.
    In der übrigen Republik war das sicher (bis auf die 09er Delle) ähnlich. Seitdem leben wir in meinen Augen in einer neuen Zeitordnung. Kunst inclusive.
    Vielleicht irre ich mich, mein Gefühl sagt aber: eher nicht.

    • mark793 schreibt:

      Neue Zeitordnung, ich weiß nicht. Es hieß ja auch nach 9/11, die Welt wäre nicht mehr die gleiche. Aber realistischerweise müsste man sagen, der Meteoriteneinschlag in Yucatan vor rund 60 Millionen Jahren (oder meinetwegen auch die Finanzkrise 2009) hat die Welt weitaus mehr verändert als zwei in Schutt und Asche versunkene Hochhaustürme in Manhattan.

      Sicherlich haben sich viele Kunstkäufer auch von der Aussicht auf Wertsteigerung locken lassen, aber soweit ich das beobachtete, ging es in erster Linie um Nichtmaterielles, Distinktionsgewinn, kulturelles Kapital oder wie immer man das nennen will. Zum Steuersparen/Geldanlegen gab es schließlich andere Möglichkeiten (ich sage nur: Schiffsfonds). Einige meiner Kollegen haben ihr Erbe – oder noch schlimmer: aufgenommene Kredite – in Medienfonds oder Kinowelt-Aktien verlocht. Die wären froh, wenn sie sich stattdessen was schönes an die Wand gehängt hätten.

  3. crispsanders schreibt:

    Ein Meteoriteneinschlag ist sicher nochmal etwas anderes. An planetarische Zäsuren dieser Größenordnung wollte ich nicht heran – eher an kleinere, europrovinzielle. Für Berlin ist die Zäsur nicht der November 89, sondern die jahre 2004 oder -5. Bis dahin gleicht alles stark dem status quo.
    Bei Kunstwerken ließ sich der Distinktionsgewinn mit dem Anlagepotential bestens verbinden. Die Steigerungen sind in diesem Jahrtausend verblüffend. Es ist schon lange her, seit der erste VanGogh die Million überschritt . . .
    im übrigen sind gerade Kusntwerke aus Thüringen nach 40 Jahren „wieder in Sicherheit“ gebracht worden. Deren Wert könnte in dieser Zeit um den Faktor 1000 zugenommen haben.

    • mark793 schreibt:

      Inwieweit die Wertentwicklung von van Goghs repräsentativ ist für den Gesamtmarkt, das wäre noch die Frage. Der gesamte Oldtimermarkt geht ja auch nicht so exorbitant durch die Decke wie der Ferrari 250 GTO. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, wie entwickeln sich die Sachen, die sich ein Anwalt oder ein Zahnarzt leisten kann? Ich weiß von einem Chefarzt in der Provinz, der in den 60ern anfing, Bilder von Emil Schumacher und anderen informel-Protagonisten zu sammeln, der hat heute einen Millionenwert an den Wänden hängen (den Einbrecher mehrmals links liegen ließen). Aber wo müsste man heute als Privatmann den Einstieg suchen?

  4. crispinus schreibt:

    Ich fürchte, daß sich die Kategorien entkoppelt haben. Wenn wir nicht mehr von rich sindern von working rich reden, dann wird es für mich unübersichtlich. Es ist einfach unglaublich viel mehr Geld (nominell) als in den 60ern unterwegs .Alle Rarifizierungsstrategien sind ebenfalls erprobt worden. Wer erinnerte sich nicht an die inflationären Dali-Drucke in anderen Praxen?
    Aber wenn schon Bilder:
    Persönlich finde ich Original Photoabzüge aus der alten Welt unterbewertet, nachdem ich feststelle ,daß im Grunde nur der Handabzug auf Barytpapier länger als ein Jahrhundert hält. Bis auf Ausnahmen würde ich streng von Autos abraten .Schon Fahrräder müssen instandgehalten werden und bewegt . . . .
    Mein letztes Wort als Mick Knauff der privaten Anlageformen: Sucht euch etwas, das ihr wirklich schätzt ,macht euch schlau und umgebt euch damit – wenn ihr könnt.

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