Sir Stirling und der Brexit

… man muß auch unangenehme Themen anschneiden können . Motorsport zum Beispiel, diese energieverschwenderische, umweltmoralisch verwerfliche Tätigkeit von Männern mit zu hohem Adrenalinpegel. Ganz schlimme Sache, verdirbt die Jugend.

GP-von-Deutschland-1961_Startaufstellung_Foto-AvD-678x381So wie die von Stirling Moss, Startnummer 7.

Seine Zeit als weltbekannter Rennfahrer währte zeimlich genau zehn Jahre, von 1951-61. Seine Zeit als englisches Idol hat die schillernde Karriere mehr als 50 jahre überlebt, genau wie er. Das Netz vergißt nicht  – und das kann positiv sein.  Interviews mit Stirling Moss bringen uns einen jungen alten Mann näher, der durch den sauertöpfischen Vorhang des Deutschen Fernsehens lange verborgen blieb. Hier zum Beispiel:

Who do you think you are Stirling Moss 1-4.

moss lotus 18moss 61 bergwerk oderMan muß sich erinnern, daß, bevor unser Halbgott Michael die Bühne betrat, Autorennen einen halbseidenen Ruf unter politisch Korrekten hatte (solche, die sich jetzt für den Schutz der Wölfe stark machen). Aber mir geht es nicht um verbotene Autorennen, die Schließung des Nürburgrings oder was auch immer an Umerziehung zur Maßhaltigkeit gewünscht wird.

Mir geht es um einen Mann, einen Briten dazu, diese anachronistische Figur, die einem James Bond heute noch Flügel verleiht . Mir geht es am Ende um den Brexit und die Seele, aus der er kommt – nichts weniger.

moss 61moss monaco

Stirling Moss war der verkörperte Traum aller englischen Schuljungen, ein nationaler Champion, der zum nationalen Erbe wuchs. Jung, selbständig, sportlich brillant. Ein zielstrebiges Talent, das mit 17 alles auf eine Karte setzt, im geliehenen Jaguar die Tourist Trophy gegen die Werkswagen gewinnt und mit eigenem Geld (Fahrrad, Radio – alles verkauft) in der 500er Klasse startet.

500 Kubik im Cooper Chassis, so etwas ökonomisches gibt es in unseren Zeiten nicht mehr. Jedes Wochenende setzte er sein Leben aufs Spiel und bekam dafür ein märchenhaftes Leben – Weltreisen, Frauen, Feiern. Internationale Siege, während gleichaltrige 1953 noch Lehrgeld zahlten. Aus Angst vor dem Flammentod schnallte er sich nie an.

moss 61 hohe 8moss vanwall

Wenn ich das mit eher blassen Lichtgestalten vergleiche, die unsere 13-jährigen zur Wahl haben. Aber der Vergleich ist sehr unfair , die Traumzone einfach stark eingeschrumpft. Dochum kurz ins Bild der Vergangenheit zu kommen:

zitieren wir kurz  den Mann selbst in AutoMotorSport

„Ich trat mit einem Privatteam an, was heute gar nicht mehr möglich wäre. Rob Walker war mein Freund und der Chef des Teams. Außer dem technischen Leiter Alf Francis hatten wir einen Mechaniker. Meistens haben wir uns noch einen zweiten von einer lokalen Autowerkstätte ausgeliehen. Es gab ja nur bescheidenes Startgeld. Wir konnten kaum davon leben. In unserem kleinen Team herrschte aber dafür eine familiäre Atmosphäre. Das gab mir Lebensqualität. Ich möchte nicht mit Lewis Hamilton tauschen, der nach einem Sieg alle Vodafone-Filialen abklappern muss, um dort halbstündige Vorträge zu halten. Ich hatte nach meinen Siegen noch Zeit, mich um die Frauen zu kümmern. Ferrari war eine ganz andere Dimension. Taffy und Phil Hill waren Angestellte mit einem festen Gehalt. Meine Abmachung mit Rob Walker sah so aus: Ich kriege 60 Prozent vom Startgeld. Ich habe mit Rob nie einen Vertrag oder eine Absichtserklärung unterschrieben. Er war ein Gentleman, dem ich hundertprozentig vertrauen konnte.“

Fahrer suchten nach Ausreden gegen die Angst

„Der Tod war damals ein ständiger Begleiter. Wenn einer der Kameraden gestorben war, hat man sich Entschuldigungen zurechtgelegt, um darüber hinwegzukommen. Du hast dir gesagt, dass er bei dem Sport, den er liebte, ums Leben gekommen ist, dass du an seiner Stelle eher gebremst und früher eingelenkt hättest, so dass dir der Unfall nicht passiert wäre. Das war natürlich Unsinn, hat dir aber über die vielen Tragödien hinweggeholfen.“

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Und hier sehen wir Moss (rechts) mit einem  Kameraden Namens Trips, nach einem seiner besten Rennen.
Gerade hat er gegen 30PS stärkere Werks-Ferrari mit Glück und viel mehr Können den Nürburgring Grand-Prix 1961 gewonnen. Es ist sein achtes Jahr in der Formel eins und sein Letztes. Ein schwerer Unfall beendet mit 32 Jahren den Traum, jemals Weltmeister zu werden.
Vor allem endet sein persönlicher Traum, auf einem englischen Rennwagen Weltmeister zu werden. Das war erklärtes Ziel . Stirling Moss war stolz Engländer zu sein und das bedeutete auch, zeigen zu wollen, daß England den besten Rennwagen bauen konnte. Nur in einem Jahr hatte er sich Mercedes verpflichtet, das Jahr, in dem er die berüchtigte Mille Miglia in ewiger Bestzeit gewann.
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Die übrigen Jahre fuhr er in allen möglichen Kategorien bei privaten englischen Teams Siege ein. „I am a road racer“ sagte er, „not a track racer.“ Dieser Rennsöldner und Künstler des Lenkrads siegte auf allen Gebieten und baute sich ein Vermögen aus Startgeldern, Preisgeldern und Werbegeldern – mit heutigen verglichen natürlich in bescheidenem Umfang, riesig dagegen sein Ruhm, der immer noch andauert.
Und diesen Ruhm verdankt er nicht nur seiner artistischen Könnerschaft, sondern auch einem heroischen Charakter. „Ich begriff, daß Stirling den Rennsport nicht trotz, sondern wegen dessen Gefahr liebte.“, sagte ein Journalist.
In dieser eigensinnigen, waghalsigen Mentalität stecken durchaus freibeuterische Züge. Eigenschaften, die England einst halfen, ein Empire zu errichten. Wahrscheinlich ist Sir Stirlings Stolz auch aus dem Bewußtsein geboren, Vertreter und Erbe eines geschrumpften Empires zu sein, als Nachfolger der Herren der alten Welt, was auch immer man von ihnen halten möge.
21625 World Copyright: LAT Photographic ref: B&W Print, 40mb RGB scan
Und das, was man von ihnen halten möge, ist solchen Menschen erst einmal egal: sie wollen gewinnen.
(Vor über zwanzig Jahren sitze ich in der AedesBar am Savignyplatz, direkt unter der Sbahn. Manchmal rauchte ich dort zum Cappuccino – es gab noch keine Pads von Nästlé – eine einzelne sweet afton. Mit dem kleinen,älteren Italiener hinter der Theke unterhielt ich mich gern über die Formel 1. Villeneuve hatte unseren Schumi sehr gefährlich in Spa attackiert, ich reklamierte ein foul. Der Italiener zuckte entschuldigend die Schultern und sah mich, um Verzeihung bittend an:  ,, suon artiste . . . „. )
Dafür werden sie bewundert. Right or wrong: my country. Darin steckt ein gewaltiger Mentalitätsunterschied zum konsensuellen , regelbasierten, wie auch immer kompromißhaften Wesen paneuropäischer Gemeinwesen.
Man mag das absurd finden, man mag auch vergessen, daß ein gewisser de Gaulle große Vorbehalte gegen Engländer in der EU hatte und daß diese nicht mit fliegenden Fahnen nach Brüssel gingen, sondern unter Vorbehalt.
Dem Vorbehalt der Selbstbestimmtheit.

 

 

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7 Antworten zu Sir Stirling und der Brexit

  1. alex schreibt:

    Danke für die tolle Gesichte !

  2. mark793 schreibt:

    Those were the days. Habe grad dieser Tage mal wieder den ziemlich gut gemachten Grand-Prix-Film von 1966 geguckt, da spielt ein englischer Fahrer, der sich nach einem üblen Crash wieder berappelt, eine wichtige Rolle.

  3. crispsanders schreibt:

    Teile immer gern meine Leidenschaften – vielen Dank.
    Der epische 1966er „Grand Prix“ verschafft ein fantastisches Bild vom damaligen Rennsport, der noch recht viel Ähnlichkeit mit der großen Zeit von Fangio oder Moss besaß. Aus den Filmstreifen in 35mm Technicolor könnte man viele brauchbare Stills ziehen. Moss legitimer Nachfolger Jim Clark war damals auf der Höhe seines Ruhms und Könnens. Ein schottischer Brite in einem 100%brititschen Auto.
    Soviel zur Fortsetzung der Chronik.

    • mark793 schreibt:

      Ich lese grade, dass Jim Clark als Vorbild für den britischen GP-Protagonisten Scott Stoddard diente. Ich will diese Ära nicht über Gebühr glorifizieren, aber allein der noch recht kernige Motorensound jener Tage beschert mir schon Gänsehaut-Momente. Seit den 70ern und 80ern wurde das Motorgeräusch drehzahlbedingt immer mehr zum nervigen Geheule und Gejaule. Ich war von RTL um das Jahr 2000 herum mal zum freien Training in Hockenheim eingeladen. Dass F 1 laut ist, war mir zuvor schon klar, immerhin habe ich lange in Walldorf in Hörweite der Rennstrecke gearbeitet, aber wie f*ck*ng LAUT das auf der Tribüne ist, davon hatte ich keine Vorstellung.

  4. crispsanders schreibt:

    Die Drehzahlen liegen ab den 90ern jenseits der 15k marke, das kommt dem Zahnarztbohrer schon nahe. Niemand läuft ohne Selektone längere Zeit an der Strecke herum. Danke noch für die Jim Clark Information. kaum eine Carrerabahn war ohne das Duo Lotus/Ferrari denkbar. man mußte nicht einmal Lizenzen an die Hersteller zahlen, eine völlig unterentwickelte Zeit. Das allover merchandising dürfte dann mit „dem Kerpener“ begonnen haben.
    Jim Clark stirbt am 12.April 1968 in Hockenheim unter ungeklärten Umständen in einem Formel2 Lotus. Zu seinem 50ten Todestag gab es in der FAZ einen bericht mit Bild. „Wenn es sogar Jimmy erwischt . . .“
    Es gibt nichts zu beschönigen, die Autos waren noch lange sehr fragile Konstruktionen, man wundert sich für welche schlichten Sicherheitsmaßnahmen Fahrer in den „Streik“ treten mußten. Niki Lauda war da einer der wirkmächtigsten Koordinatoren.
    Dennoch diktieren seit Schumi eher die Fernsehanstalten Ort und sogar Aussehen der Strecken. Das macht den Sport mittlerweile so synthetisch wie das Flügelgetränk.

    • mark793 schreibt:

      Das mit dem Fahrerstreik wird im Film zumindest angedeutet, da diskutieren die Fahrer vor dem Rennen in Spa, ob man das Rennen wegen der schlechten Straßenverhältnisse nicht canceln sollte. Letztlich findet das Rennen doch statt, denn the show must go on.

      Dass mit „dem Kerpener“ eine andere Ära (die der Vollvermarktung) begann, hängt ja damit zusammen, dass mit dem teutschen Recken im Ring das Publikumsinteresse hierzulande enorm anstieg. Zuvor gab es in der Formel 1 ja allenfalls Zündkerzen aus Deutschland, wie der damalige RTL-Chef Thoma immer wieder betonte, entsprechend fristete der Rennsport im deutschen TV ein Nischendasein.

      Der Vergleich mit dem sythetischen Flügelgetränk ist statthaft, allerdings muss man auch sehen, welch enormen Zugewinn an Sicherheit es in der Zwischenzeit gegeben hat. Seit dem Unfalltod von Ayrton Senna ist ein Vierteljahrhundert vergangen, etliche Crashs der Zwischenzeit, die glimpflich ausgingen, wären in den 60ern wahrscheinlich tödlich verlaufen.

  5. crispsanders schreibt:

    der angesprochene Streik im Film GrandPrix bezog sich auf die alte Strecke in Spa, die ja schon immer irrsinnige Schnitte zuließ – und das auf Landstraßen.(man erinnere sich an den Ardennen 400er)
    Rekordhalter ist der immer noch lebendige J.Ickx mit über 260km/h. Als einer der ersten Kurse wurde Spa verkürzt, entschärft und mit dem Charakter eines vollbeplankten Rundkurses versehen.
    Interessanterweise finden auf solchen, recht ursprünglichen Strecken immer die spannendsten rennen statt. ein klares Manko der 6spurigen Designerkurse, die ja zu immer witzigeren Regeländerungen führen. Niemand könnte heute in einem auch nur leicht unterlegenen Fahrzeug als Sieger bestehen, – das ist ein großer unterschied beispielsweise zum erwähnten Rennen von 1961.
    Aber diesen Punkt hat ja auch schon Sir Sirling gemacht.Heute sind sowohl Kurse als auch Boliden erheblich sicherer, ganz klar. Es sterben dennoch jährlich Fahrer, das wird sich nie vermeiden lassen.

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