Control Point1 – und wie man es dorthin schafft

acp1Als ich auf einem besonders langem und Hohen Pass mehrere Teilnehmer des biking man France  überholte, sah ich nicht nur, wie hart es ist, nach 800 Kilometern den 18000 ten Höhenmeter zu fahren, ich begriff auch, daß es eine der Veranstaltungen war, die man als Vorbereitung zum transcontinental race nutzen kann. Es gibt sie weltweit, die tracker – dotwatcher ultradistance events. Unsere neue Radsportszene hat sie wachsen und gedeihen sehen,  die three peaks bike races, die atlantic byways, die Atlas Mountainrace,  Race through Poland oder around Austria- um einige zu nennen, die mir gerade einfallen.

Das Transcontinental race ging 2023 in seine neunte Ausgabe. Mit jedem Jahr fügt es dem Ultradistanzsport im Regenbogen des Radsports einen kleinen leuchtenden Streifen hinzu.

Dank dotwatching läßt sich lässt sich alles genau verfolgen – Position, Geschwindigkeit und Standzeiten aller Teilnehmer kommen in Echtzeit. Damit lässt sich hochrechnen, wie lang die Startnummer auf dem Bildschirm bis zum nächsten Punkt brauchen wird. Es fehlen eigentlich noch online Wetten, aber das ist ein anderes Spielfeld.

Was vor zehn Jahren als Abenteuer mit unbekanntem Ende begann, ist die zur Krone einer ganzen Serie von Veranstaltungen im Jahreskalender geworden. Mit steigendem Zuspruch wächst das  Leistungsniveau der Teilnehmer, doch nach wie vor zerfällt das Rennen in drei Gruppen: die Top 10, die Top 100 und dann der Rest. 200 von 300 Teilnehmern werden vermutlich schon vor der Austragung wissen, daß sie hier allenfalls ums finishen mitfahren – also dem finishen in der Zeit (Vom finishen bis zur Finisherparty ganz abgesehen). Und für viele ist es schon sehr bald vorbei.

Am ersten Kontrollpunkt – CP1 –  findet die erste, harte Auslese statt. Nach etwas  mehr als zwei Tagen, bei knapp über 1000 Kilometern, wird oft an einer Passhöhe alles aus der Wertung genommen, was aus der Karenzzeit fällt. Der spannendste Teil des Dotwatchings ist also nicht unbedingt der Kampf um Platz 1, sondern der Kampf um den letzten gewerteten Teilnehmer. In diesem Jahr fiel rund ein Drittel der Konkurrenten, um die 100 Radfahrer,  am ersten Punkt aus, manche um die entscheidenden Minuten nach Mitternacht. Man möchte eigentlich in ihrer Haut stecken, selbst wenn es um nichts als  die Ehre geht – jeder zahlt ein Startgeld, niemand bekommt ein Preisgeld, alle müssen heimkehren.

Doch auch die, die es nicht weiter schaffen sind keine gewöhnlichen Radtouristen, die mal eben in die Ultradistanz schnuppern wollten. Als ferner Beobachter versuche ich hier eine Annäherung an Ursachen des Scheiterns und Vorbedingungen des Gelingens – für CP1.

Was sind die Mindestbedingungen, um den Weg zur ersten Kontrolle in der Maximalzeit zu schaffen? Zwei Größen scheinen dafür ausschlaggebend: Ruhezeit und die Geschwindigkeit in Bewegung. Die Werte sind allen Aspiranten aus den Vorjahren bekannt, sie können schon vorher mit ihren eigenen Kapazitäten abgleichen – wenn sie denn zu den Auserwählten zählen…

Die Daten sind alle von vorigen Austragungen bekannt, es weiß jeder, worauf er sich einlässt, wenn er das Rennen zum CP 1 beginnt. Für alle mit einer Bewegungsgeschwindigkeit um die 20 km/h wird es hart, und mit 19 km/h ist die Fahrt ein Kreuzweg. Um diese auf den ersten Blick kleine Zahl einzuordnen: ein Durchschnitt von 19kmh ist erheblich schneller als für den BRM- 1000km Brevet – der längsten Kategorie der Brevet Randonneurs Mondiaux erforderlich. Allen, die Randonnées als gemütliche Veranstaltungen ohne Streß angehen, täuschen sich.

Neben der reinen Geschwindigkeit gibt es einen zweiten, rennentscheidenden Faktor: die Ruhezeiten. In den ersten 48h liegen sie nicht selten bei 0, rechnet man Ampelstops und Supermärkte als Ruhezeit,kommt man nur auf wenige Prozente. Ab dem zweiten Tag bewegen sich die Werte zwischen 10 und 30%, alles jenseits von 30% bedeutet statistisch gesehen das sichere Scheitern. Denn so schnell, diesen Zeitverlust zu kompensieren ist niemand unterwegs. Minimum und Maximum drücken die Wahl  zweier Strategien aus: entweder über mehrere Tage konstant mit minimalen Schlafpausen fahren oder etwas schneller fahren, sich dafür aber ein – bis zwei Stunden mehr Ruhe „gönnen“. Gegen Ende des TCR gleichen sich die Werte an. 20% eines Tages,  das sind gerade mal 5 Stunden Ruhe . . . .

AI02So oder so es bleibt das tägliche Pensum von mindestens 13 bis 14h Sattelzeit. Diese Belastungsdauer erklärt vielleicht, weshalb nicht einmal die Bewältigung einer Serie von Superrandonnées,  bei denen alle Brevet Distanzen in einem Jahr gefahren werden, für das Gelingen des transcontinental race hinreicht. Ultradistanzrennen sind offenbar eine Kategorie, die eine ganz spezielle Vorbereitung erfordern. Kilometer allein sind nicht die Antwort.

Alle Teilnehmer werden genau überlegen, unter welchen Voraussetzungen sich ihr Transcontinental Race erfolgreich beenden lässt. Doch Grundlagenausdauer und Fleiß des eingefleischten Radwanderers bringen sie alle mit. Zehntausend Kilometer jährlich besagen wenig, außer man ist jung, hochbegabt, in bester Verfassung mit rigoros strukturiertem Training ohne junk miles. Selbst dann wird es in Grenzbereiche der körperlichen Belastung gehen, bis in die Zone, in der der Körper sich selbst aufzehrt. Welche Faktoren kommen also hinzu  – ? auf dem YT kanal von Spotzle habe ich ein sehr interessantes Interview zum Thema gefunden

Laurent Boursette – die Vorbedingungen für Ultradistanzrennen – aus einem Interview mit „Spotzle“:

Ausdauertraining über mindestens 3 Monate vor einem Event: wobei – alle Radfahrer im Ultra sind seit Jahren dabei. Eine Steigerung der Kilometerumfänge im Jahresverlauf ist sinnvoll – auf den Wettbewerb hin. Dafür eignen sich die Brevetserien sehr gut. Wichtig ist gezielt wiederholtes Training jenseits der 10h – ab dann beginnt die eigentliche spezifische Belastung  der Ultradistanz. Also die Schmerzen In Rücken und Nacken und Sitzknochen… Spezifische Ausdauereigenschaften, das heißt, andere Formen des Schmerzes ertragen und trainieren. Das Training von Schlafentzug und Biwak – Umfänge als „Blöcke“, also an mehreren Tagen in direkter Folge lange Distanzen fahren – um die Repetition der Ermüdung zu üben. Es sei darum wenig erstaunlich, wie gut Radkuriere abschneiden, weil sie das ständige, tägliche 10h pensum gewohnt sind. Zum Start sollte man in der Lage sein, das erforderliche Tagespensum eines TCRs – also 300km – an mehreren Tagen hintereinander zu fahren. Mit Gepäck trainieren, denn der Unterschied eines langen Passes mit und ohne Beladung ist nicht zu unterschätzen und nur so, kann man die für das Rennen richtige Übersetzung wählen. 1:1 ist in einem TCR die Regel, durchaus auch 1:0,75. Und noch etwas: man fahre (fast) nie so, daß man aus der Puste kommt, Indikator: Gespräch lässt sich immer führen. AMßgabe: Frisch ankommen sich immer gut fühlen (was sehr relativ sein kann…). Hier haben Teilnehmer aus dem Triathlon mit ihrer konstanten Belastungsmessung eine gute methodik. Schließlich die  Ernährung unterwegs;  ist ein individueller, aber entscheidender Faktor. Er selbst verlasse sich auf Gels, weil sie bei ihm funktionieren,  eindeutig aber ist der Faktor „Tankstellenessen“. Man muß damit zurechtkommen, sowie auch mit durchschnittlicher Imbißkost, denn der Körper braucht ständig neu nachgeführte Energie.

Und selbst dann kann es geschehen, mitten im Balkan nach über 2000km von einem Infekt überwältigt zu werden. Soweit die Aussagen eines Ultradistanzlers, die mir sehr plausibel erscheinen.

Wie fällt in diesem Jahr die Bilanz des TCR am 1 September 2023 aus?

  • finished: 116 solo + 7 Paare
  • scratched: 147 solo + 17 Paare
  • noch unterwegs: 53 solo + 10 Paare
  • übrige sonstige „outside qualification

Das macht über 250, die nicht als Finisher gewertet werden gegenüber 130 Finishern insgesamt, von diesen 100 die mit 1000km Rückstand ankommen. Man kann vermuten, daß es nach 10 jahren nur um die 30 Starter sind, die potentiell ein TCR gewinnen können. Das ist schon sehr übersichtlich.

Was ist mit den Anderen?

Vielleicht sehen sie das Rennen ganz olympisch und es reicht es ihnen in ihrem Leben  – wenn auch nur ein einziges mal –  eine derart maßlose Unternehmung bewältigt zu haben.AA6

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