Klassiker ohne Kopfschmerzen : Köln’18

Irgendwann morgens im Gelbachtal, mitten durch die Wälder.  Die Straße schlängelt sich einsam dahin, in den Schattenpartien knistert das Salz – heute wird mich niemand stören, die Motorräder halten Winterschlaf. Es surrt neben mir. Ein älterer Herr schaut auf mein Vitus, das sehr sauber die erste Frühjahrssonne spiegelt.

cd2„So bin ich den Ötztaler gefahren, den Allerersten! Mit ach und Krach hinten 25 drauf wegen der Campaschaltung. Und dann kaum Verpflegung – die Brunnen haben wir uns selber gesucht. Mein Einnerungskranz hängt zuhause an der Wand . .“

b25Erinnert diese Geschichte des Best-Agers von einsamen Sonntagen und flüssigem Haferbrei im Bidon nicht an Erzählungen der „eroica“ –  als sie noch nicht zum Franchiseunternehmen mit Pflichtsponsoring angeschwollen war?

Wahrscheinlich gibt es immer einen Scheideweg. Aus einem jour fixe mit Kumpeln wird eine lokale Veranstaltung, die Lokalzeitung erscheint, die Verbände sehen einen Nutzen, Werbeagenturen eine Marke entstehen und schon rollt der Schneeball, der wächst und dann jede Menge Abfall aufnimmt bis die schöne weiße Kugel immer stärker dem ähnelt, was der  berühmte Mistkäfer vor sich herschiebt. Auch wenn der Kern natürlich weiß geblieben ist.

b11Während  Radsportveranstaltungen immer mehr all-inclusive-wellness Angeboten des Pauschaltourismus ähneln, ist in Köln alles wie zu Beginn. Eine Handvoll Enthusiasten, ein unauffälliges Vereinsheim und ein lowprofile Standort namens Neptunbad Köln-Wahn. Klingt fast nach Tarnadresse und konspirativem Treff  – aber wahrscheinlich ist das ein Teil der Erfolgsformel, den man nicht aufgeben darf.

Es braucht keine Anzeigen, es braucht keine gedruckte Einladung, keine Bannerwerbung, keine flyer. Das internet funktioniert eben auch so:  Enthusiasten der Szene kennen sich aus Foren wie den Rennrad-News,und freuen sich wie Kinder, endlich einmal ein neues Exemplar ihrer Stahlrad Sammlung gemeinsam über Feld, Wald und Wiesen zu jagen.

Kurz wird Material  inspiziert und schon rollt das Feld. Vorn und hinten sichern die Gastgeber die Kolonne,  nach 400m fliegt die erste Schaltrolle hinaus. Zurück auf Los.

Dann kommen die Passagen, auf die alle warten: Schotter, Heidesand und tückischer Wurzelgrund; die Wahner heide erinnert mit kleinen Betonskulpturen an eine militärische Übungsvergangenheit. Hier wird sie zur Teststrecke

c3Eine erste Selektion, nur Schlamm hat gefehlt. Mörderisch.

Und sehr zivil gleitet das Peloton auf Bergisches gebiet zu.  Die Route hat sich ganz leicht verändert: die Zubringer und strategischen Pendlerstraßen werden geschickt umfahren, der deutsche basaltgravel erlaubt staubfreies Vorwärtskommen. Strade Grigi könnten wir es nennen. Die kompakte gruppe erlaubt eine gute Übersicht der vertretenen Räder.

Im Feld eine starke Bianchi Fraktion, ein kleines Peugeot Team und natürlich die gleichstarke Raleigh besetzung. Mercier hat nur noch einen Mitstreiter ins rennen geschickt – .

a016Im übrigen viele Individualfahrer auf sehr unterschiedlichen Maschinen,  die die ganze Bandbreite des schönen Sports verkörpern.

Nach den gravel-Sektionen, die um manche italienische Lackierung fürchten lassen, gibt es noch die eine oder andere Geschicklichkeitsprüfung: hier sprechen Bilder.

b16a14Der Parcours ist psychologisch geschickt aufgebaut, die erste halbe Stunde führt  immer weiter in ruhige und ländliche Gefilde, Gespräche können geführt werden, bei  Zwischenstopps sortieren sich alle neu.

cc5Die Mischung stimmt und so wird ein Zerplatzen des Feldes vermieden. Keiner fühlt sich unterfordert, niemand hat das Gefühl, abgehängt zu werden.

Man hatte uns Anstiege versprochen, auch Grafiken und tracks verschickt. Der Sport kommt nicht zu kurz – es sind die mitunter knackigen, schmalen Steigungen im Bergischen hinauf die für einiges Ritzelrechnen im Vorfeld sorgen. Zuerst kommen kleine Technik-Prüfungen.

cd4Auch wenn der große Tom Ritchey  ganz deutlich zum Elektro Rad sagte:“eines Tages werde ich eins brauchen..“ steht dieser Tag nich tvor der Tür. Hier fährt eine Gruppe von best-agern die herausfinden, daß sie noch lange keins brauchen. Dabei gibt sich niemand der Illusion hin, ein Held zu sein. Es ist eine nur Wahl, den bestmöglichen Umgang mit dem eigenen Alter zu pflegen. Das gute alte Rennrad diszipliniert zwangsläufig jeden und schiebt so den Zeitpunkt der Hilfsmotorisierung um Jahrzehnte hinaus…

b15Es ist nicht allein die Frage nach der eigenen Fitness, die die Fahrer hier antreibt. Es ist die Entscheidung, diese Fitness mit Stil zu erreichen.  Das leise Surren , diese fast lautlose Fortbewegung durch Stahl und Aluminium ist ja Erlebnis an sich. Ein bestimmtes Empfinden von Kraft und Geschwindigkeit, eine bestimmte Ästhetik der Fitness, die alle hier teilen.

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cc10Und es schafft Gemeinschaft – denn, wie sagte Greg LeMond einst: „es wird nicht leichter, man wird nur schneller.“ Deshalb gilt allen der gleiche Respekt,  denn gerade weniger Geübte leisten eigentlich das Meiste.  Immer wieder überraschen Räder mit alten Übersetzungen wie 44×23 – es scheint eben Übungssache zu sein. Klagen? Keine.

b21Wo sich seit Einführung des Kompaktkranzes die Technik des Bergfahrens zu hohen Umdrehungen im Sitzen entwickelte, war es der richtig dosierte Kraftpunkt im Wiegetritt, der über Jahrzehnte die „richtige“ Art war, einen Anstieg zu meistern.

cc7Hier erlebt man alles  nebeneinander, staunt und freut sich wie ein Kind, wenn es wieder abwärts rauscht.

cd6Habe ich mich schon für die nette Verpflegung bedankt? Köln ist im Kommen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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3 Antworten zu Klassiker ohne Kopfschmerzen : Köln’18

  1. monnemer schreibt:

    Diesen Beitrag sollte man einrahmen. Danke!

  2. Dale Cannon schreibt:

    Der Text und die Bilder treffen den Nagel auf den Kopf – tut gar nicht weh… Ich will da wieder hin!

  3. crispsanders schreibt:

    ich auch – was braucht die super maxy für eine achslänge innenlager?

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