Zwei Söhne aus gutem Hause

„Denn wir sollten immer wissen: wir waren Kinder feiner Leute .“

(Alfred Andersch, Fahrerflucht , Hörspiel 1957)

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Neulich also wieder Christian Kracht, sein neues Werk Eurotrash, vorzüglich besprochen, als Hörspiel vertont,  erinnert es an den großen Millenial-Erfolg „Faserland“. Über 25 Jahre ist diese Beschreibung der Deutschlandreise eines Luxusverwahrlosten schon alt. Eine gute, schnoddrige Lektüre, die den Habitus einer wohlerzogenen, hedonistischen, drogensüchtigen und geschmackssicheren, vor allem aber wohlhabenden Jugend der Bundesrepublik schilderte. (Berlin ist kein Schauplatz!)

Faserland war die erfolgreichste Deutschlandwanderung der Deutschen Literatur. Ihr Erfolg beruhte auf einem Schock: zum ersten male blickten die Gewinner des bundesrepublikanischen Klassenkampfs mit offener Verachtung auf die Verlierer, hatten das schlechte Gewissen des Reichtums und die Scham des leistungslosen Vermögens hinter sich gelassen.

av8Etwa 15 Jahre zuvor gab es eine ähnlich erfolgreiche literarische Wanderung durch Deutschland – in völlig anderer Stimmung: ohne Porsche und Airbus, eine Fußwanderung von Michael Holzach mit dem Titel : „Deutschland umsonst“. Hier macht sich ein  ähnlicher, junger gebildeter Mann auf, das Land von Nord nach Süd ohne einen Pfennig in der Tasche zu durchqueren.

Auch Michael Holzach ist Kind eines Internats, in dem wohlhabende Eltern ihre Kinder gut betreut wissen wollen, ganz gleich, wie beschädigt ihre Familien, Vermögen und Psychen sind. Holzach macht eine Reportage – keine Literatur. Eine Reportage von 200 Seiten mit Selbstreflexion, mit autobiographischen Bezügen und Fragestellungen ist aber mehr als eine Reportage. Und die Parallelen von Michael Holzach und Chrstian Kracht sind  größer, als die erzählte Perspektive auf das Vaterland vermuten lässt.

av3Holzach wandert von Hamburg nach München und zurück. Mit Rucksack, Wanderstock und einem Hund aus dem Tierheim macht er sich auf den Weg: ohne Geld, ein Experiment. Er beschreibt Deutschland in Bodennähe, aus der Perspektive der kleinen Tagelöhner, Kirchentafeln und Obdachlosenasyle, er beschreibt das Deutschland der Verlierer kurz vor dem Ende der sozialdemokratischen Periode, die der Ungleichheit den Kampf angesagt hatte. Es ist ein illusionsloser Bericht über Mönche, Kleinbauern, Studenten die in Atomkraftwerken jobben und in welchem er sich in der Kellerküche des Grünen Kongresses hart den Groschen für seine neuen Schuhsohlen erarbeitet.

Er läuft dabei aber nicht in die Falle des Betroffenheitsjournalismus, der Zeit Abonnenten damals das ganze Elend der Welt vorführte, damit es dem Chefarzt im neuen Eames Sessel am Donnerstagabend, wenn die armdicke Wochenausgabe erschien nicht allzu gemütlich wurde. Ein Journalismus, in dem sich Redakteure (nicht selten Kinder aus gutem Hause) mit dem Elend der Welt für ein paar tausend Zeichen vertraut machten, eine Form der moralischen Deutungshoheit über die Weltmissstände förmlich zum Konsens machten.

Darauf war Krachts Faserland ein geradezu erfrischende Antwort. Die Kinder der Gewinner waren weder gesellschaftlich engagiert noch moralisch interessiert. Faserland beschrieb als Roman erheblich realistischer die Verfassung und Weltsicht der Kinder aus gutem Hause. Und der Ich-Erzähler (c kracht?) teilt diese drogenbefeuerte Orientierungslosigkeit der Partyzone, deren erste Keime schon Holzach bei den Mitschülern des Internats wahrgenommen hat.

av4Holzach weiß zwar, daß er kein Armer unter Armen ist und kein heiliger Pilger, der messianisch Deutschland durchwandert, in Wochenenhäuschen einbricht  (wie Werner Herzog) und in Fußgängerzonen bettelt, um den Deutschen einen Spiegel vorzuhalten. Die Wurzel ist seine eigene Orientierungslosigkeit: ohne politischen Illusionen flieht er vor sich selbst, sucht sein Ziel und überlegt, ob es am Ende die Gärtnerstelle in seinem alten Internat sein könnte.

Denn das Internat ist ihm das geworden, was er eigentlich nicht hat: eine Familie, fesete Bezugspersonen, sichere Bindungen. Und hier lohnt es sich Krachts neuesten Roman Eurotrash im Hinterkopf zu haben,  der nichts anderes ist als die Suche des Helden asu Faserland nach der eigenen Familie. Aber zurück zu Holzach.

av9Beide, Holzach wie Kracht, sind Kinder erfolgreicher Kaufleute, Manager wird man sie nennen. Beide sind Kinder abwesender Väter mit obskurer Erfolgsgeschichte, beide sind Kinder von Kriegsgewinnlern und , wenn man der  Krachtschen Mutterfigur Glauben schenkt, Kinder entschlossener, statusbewußter starker Frauen,  die genau um ihren Rang und Wert wissen und fest entschlosen sind, diesen zu mehren. Holzachs Mutter ist die große, schlanke, schöne Tochter eines schlesischen Gutsbesitzers. Im Berlin der dreißiger Jahre lernt sie den erfolgreichen Versicherungskaufmann Manfred Holzach, einen Schweizer Patriziersohn kennen, der in der Direktion Berlin der Allianz Versicherung eine steile Karriere bei den Großkunden macht. Krachts Vater überlebt den Krieg, Sohn Michael kommt in Heppenheim zur Welt, wo es inzwischen mit den Amerikanern zu neuen Geschäften kommt. Doch die Mutter läßt sich scheiden und zieht (1948!) nach Berlin – Markobrunner Straße, Wilmersdorf. Dort wächst Michael Holzach mit ihr auf: ein Junge, der am Strandbad Wannssee von Eifersuchtsattacken geplagt wird, wenn Männer seiner schönen Mutter Avancen machen,  der von ihr Schlappschwanz genanntt wird, weil er vor den Spalten in der Rolltreppe des KadWe Angst hat, so gern mit seinen Freunden in den Trümmergrundstücken spielt. Ein Bettnässer.

av7Dann, als seine Mutter ihren neuen Mann heiratet und nach München zieht, muß er Berlin verlassen: das Internat wartet. Die Mutter ist nun Baronin Gersdorff, der Baron ein Schlesier wie sie, Panzergeneral und Held des Widerstands. Ihr gemeinsames Grab findet sich in München-weiteres zur Person im Netz.

Als Michael Holzach auf der Wanderung endlich München erreicht, sucht er die Wohnung der Mutter auf, übernachtet in ihrem Bett und meint ihr Parfum zu riechen, während sie sich gerade in Sylt sonnt.

Ich nenne diese biographische Passage hier so ausführlich, weil es wahrscheinlich das nächste gewesen wäre, worüber Michael Holzach geschrieben hätte, wenn er nicht bald darauf im Emscherkanal ertrunken wäre.

Ich mache sie auch deshalb ausführlich, weil sie die Parallelen zu Kracht und zwei Aspekte einer immer noch nicht verdauten, aber schon vergangenen Bundesrepublik zeigt: die Folgen, gebrochener Kindheiten, mal offensichtlicher, mal subtiler, wie Eurotrash doch recht klar offenbart. Das hedonistische Ich aus Faserland zeigt seine Wunde nicht durch eine grübelnde Wanderung inmitten der wirklichen Verlierer, sondern durch die Überbetonung, ja die einer Verabsolutierung der Zeichen äußeren Erfolgs, die fünfzehn Jahre zuvor noch überflüssig, ja fast unanständig wirkten.

ava1Es sind alles Kinder feiner Leute, man kann sich beide bestens als Söhne des Managers vorstellen, den Alfred Andersch im Hörspiel „Fahrerflucht“ porträtiert und dem martin Heldt eine großartige Stimme gibt. Sie haben das Beste aus dieser Herkunft gemacht: nämlich gute, wichtige Bücher geschrieben.

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