310814 Sucht Rimbaud – eine Reise ans Ende der Nacht

310814 Eine Reise ans Ende der Nacht: 400km an der Maas

Der Roman, dessen Titel ich hier zitiere, ist nicht von Rimbaud, sondern von einem gewissen Céline, um keine Verunsicherung aufkommen zu lassen. Der erwähnte Roman

IMG_0835

(„ Die Reise ist wohl nicht nur der eindringlichste Antikriegsroman sonder der eindringlichste Anti-Überhaupt-Roman, ja sogar Antiroman-Roman. Seit 2008 gibt es Die Reise überigens auch in einer grandiosen Hörspielfassung in der Celine von Felix von Manteuffel und seinem Sohn Florian von Manteuffel gesprochen wird“- zeit online commt.)

beginnt ein Jahrhundert früher als dieser Bericht und auch sonst ist heute das nächtliche Maastal von der KriegsUn(ter)welt des Romans Lichtjahre entfernt. Die 400km, von denen ich hier berichte, sind dennoch die Reise entlang einer Nahtstelle der europäischen Nacht, die vor hundert Jahren begann . . . .

Es ist die erste Nacht, die ich durchgängig im Sattel verbringe, eine Erfahrung, die für Paris-Brest erforderlich ist, aber auch so eine der Sachen ist, die man getrost versuchen sollte.

Exif_JPEG_PICTURE

30.8. , 16h früher:

Exif_JPEG_PICTURE

alter Stahl unterwegs

Exif_JPEG_PICTURE

Die Nacht beginnt in den südlichen Vierteln von Maastricht, der Europastadt, direkt am schönen, ruhigen Fluß. Treffpunkt der Randonneure ist ein Hotel, in dem gerade eine Wellness-Firma ihre Betriebsfeier abhielt. Ein unablässiger Strom in weiß gekleideter Männer und Frauen füllt das Hotel und verdrängt allmählich das Häuflein Langstreckenfahrer aus der Lounge

Auf einem Bildschirm war das Wetterradar für die nächsten 24 h sichtbar. Wolkenbänder überzogen Benelux, Schauer-und Gewittersymbole wechseln sich mit einer schüchtern blinkenden Sonnen-icon ab. Genug Desinformation. Angesichts der sich bejubelnden Wellness-Gruppe, ziehen wir uns in den Keller zu den Leihfahrrädern zurück.

Exif_JPEG_PICTURE

Ivo, unser netter Moniteur mit den >50000 Jahreskilometern, verteilt die kleinen gelben Kartons, auf denen die Eckpunkte des Randonneur-Schicksals für die Nachwelt festgehalten werden.

1 Letzter Schluck Kaffee, eine letzte Bananenschale in die Maas und es geht hinaus aus der Stadt: Holländische Mädchen auf Gepäckträgern von Hollandrädern werden von ihren Kavalieren in die Stadt gebracht. Es ist ein Samstag.

Die Nacht ist mild. Ein schwacher Wind begrüßt uns Richtung Belgien, auf Feldwegen dringen wir vor. Die Vorabendschauer haben einige Lachen gebildet, mein Krautscheid erhält erste Tretlagerspülungen. Es hängt ein würziger Duft von Obst und reifem Laub um uns, in den Dörfern feiert man auf der Straße. Den Wollpullover habe ich mir rechtzeitig abgestreift, die reflektierende Regenjacke anbehalten. Wir sind eine kleine Vierergruppe darunter der GPS-lose crispinus. Nachts einmündende Feldwege zu finden, fällt aber auch den Navis nicht immer leicht. Auf geht es und abwärts, die Gefährten kennen von 200 und 300 Brevets Wegmarken : Kirchen, Parktore, Denkmäler. Natriumdampflampen tauchen unseren Weg in ein angenehmes, warmes Licht, das wir mit unseren kleinen kalten LED Scheinwerfern durchkreuzen.

Exif_JPEG_PICTURE

Für den Dunkel-Radfahrer sind Nabendynamo und Scheinwerfer die größten Erleichterungen des letzten Jahrzehnts. Das erzeugte Licht ist um so vieles heller und der Rollwiderstand um so vieles geringer als alle alten Lösungen, die man zwar nicht auf den Müll werfen muß, doch auf solchen Fahrten einfach nicht mehr zweckmäßig sind. ! Ich fahre an meinem Krautscheid ein Basismodell von Trelock, welches „nur“ 30 Lux abstrahlt, was aber in den zivilen Partien der Strecke, also dort, wo es noch einen Hauch von Umgebungslicht gibt, völlig reicht. Als Zusatzscheinwerfer habe ich eine gute Akkuleuchte an den Lenker geklemmt, die mir auch im Fall einer Panne, oder falls ich etwas in einer Tasche verzweifelt suche, weiterhelfen kann.

Die ersten drei Stunden sind flugs vorbei. Mitternacht geht herum, an einer Kreuzung unter einer Brücke wartet ein Mann neben einem Fahrrad. Es ist kein Überfall, es ist keine Panne, sondern eine Geheimkontrolle. Schrieb ich schon, daß diese Brevets auch etwas von Pfadfinderspielen haben?

Exif_JPEG_PICTURE

Es ist Ivo Miesen, unser freundlicher Moniteur, der ,mit Coladosen bestückt, auf seine Fahrer wartet. Wir sollten die letzten sein von 20. Einer, der uns entgegenkam, mußte wegen seines Rückens schon aufgeben. Ein kleiner Schwatz unter der Brücke, denn Stahlraser Ingo und ich hatten auf der rasanten Abfahrt ins Tal der Maas ordentlich vorgelegt. Wir sind hier an km 66,5 bei Seilles. Selbst wenn das nur eine kurze Strecke war, rieselt die Cola sehr wirkungsvoll in den Schlund. Ein kleines Licht taucht aus dem Nichts auf – es ist der Holländer mit dem italienischen Trikot, den wir im Vorbeifahren einen Schlauch wechseln sahen.

Exif_JPEG_PICTURE

Sein umgebautes Batavus mit der gigantischen Lenkertasche hat 650er Ballonreifen. Die gelochte Kurbel schätze ich auf 48/34 und hinten sind es 13 bis 21 Zähne. Bald jedes Rad hier ist „customized“ . . . Damit rauscht er davon. Wir werden ihn nicht wiedersehen.

Der Weg setzt sich beiderseits der Maas setzt sich fort. Wir lassen Kraftwerke, Zementwerke und Zuckerfabriken hinter uns, die die Breite des Stroms nutzen. Der Bäcker kurz vor Namur hat noch nicht fertig. Das Tal schützt uns gut vor dem leichten Wind. Schon ist die Zitadelle in Sicht. Die Kontrolle liegt gegenüber der Kadettenanstalt, die in ein Berufsbildungszentrum umgewandelt wurde. Der Checkpoint, ein kleiner24h-shop der von lethargisch wirkenden Vorderasiaten betrieben wird, führt neben Tuc-Keksen auch eisgekühltes Trappisten Bier aus chimay. Immer wieder drängen sich aggressive junge Belgier dazwischen, die offenbar etwas für die Fortsetzung der Nacht brauchen. Ich kann ein kühles Chimay empfehlen: es bringt mich um Stunden weiter.

Exif_JPEG_PICTURE

Nach Dinant mit seiner in den Fels gemeißelten Kirche wird es zusehends dunkler um uns. Die französische Grenze naht, die Straße wird schmaler, welliger und kurviger, wir versuchen durchzuwechseln. Nach der Grenze passieren wir Wälder in völliger Dunkelheit und Stille. Das erste beleuchtete Gebäude, das wir wieder zu Gesicht bekommen erhebt sich dräuend hinter einem Waldkamm: es sind die zwei dampfenden Kühltürme eines Kraftwerks deren fahle orangene Anleuchtung wirkt, als tobe hinter dem Berg ein unterirdisches Feuer. Beunruhigend.

Das nächste Licht im Dunkeln ist rot , kommt und geht im Rhythmus der Straßenwellen und ist dann deutlich zu erkennen: einer von uns. Langsam unterwegs. Ich erkenne ein gelbes Rad – kein Neuling wie ich. Der Fahrer fragt, ob jemand von uns ibuprofen hat. Er sei erkältet und die Erkältung komme in Schüben. Da wir nicht sehr schnelle unterwegs sind, schließt er sich an wirkt auch wieder fit. Eine gute Stunde vor Charleville verlieren wir ihn aus den Augen. Vermutlich einer der sechs Fahrer, die den Törn nicht beenden werden.

Der nächst Bäcker ignoriert uns und widmet sich der nächsten Baguettefuhre , während wir ihm durch die Fensterscheibe zusehen. Wir ignorieren die Abkürzung nach Charleville und leider auch den flachen Maasradweg, der dann und wann unter uns auftaucht. Wir folgen der Straße . Die Maas um 6h morgens erinnert mich hier an die Lahn zwischen Diez und Koblenz. Als die anderen halten, bin ich etwas vorausgefahren: Lichter einer kleinen Stadt sind zu sehen, eine eisenbahnbrücke, Wassser. Die Anderen lassen auf sich warten. Ich setze mich, genieße die Beschaulichkeit an einem Brückengeländer und stelle fest, daß mein ungewöhnlich komfortables Rad doch nicht mehr allzu viel Luft am Hinterlauf führt. Das schiebe ich auf eine defektes Ventil und kalkuliere: wenn ich in mehr als sechs Stunden 2bar verloren habe, lohnt sich der Schlauchwechsel nicht. Meine Pumpe aber macht allenfalls vier. Also gleich sehen, wer die beste Pumpe im Gepäck hat.

Exif_JPEG_PICTURE

Ich bin ganz kurz eingenickt, aber was ist mit den Anderen? Große Toilette? Weiter auf der Suche nach dem Frühstück. Etwas später vereinen wir uns beim Bäcker. Französische Croissants, Apfelpantoffel (chausson aux pommes) und noch Sauerteigbrote , ofenfrisch.

Andere Radfahrer, Renner, sind schon unterwegs, mit Sonnenbrillen ins MorgenGrau.

Exif_JPEG_PICTUREEinen kleinen Paß später gleiten wir auf Charleville hinab, der Stadt, die durch einen ihrer innigsten Hasser auf die (literarische) Landkarte gesetzt wurde: Arthur Rimbaud. Was auch eine Rache  ist.

IMG_0832Sucht Rimbaud: findet einen Soundtrack von Hector Zazou: „Sahara Blue.“

In dieser Garnisonstadt wurde das junge Talent (ein ausgezeichneter Schüler) nur so lange groß, wie die elterliche Gewalt ihn halten konnte. Der junge Ausreißer, der sich mit 15 Jahren bereits als Journalist in Brüssel verdingen wollte, war eindeutig nicht mit dem anständig-korporierten Geist einer Stadt kompatibel, deren schachbrettiger Grundriß und das fürchterliche Pastische-Rathaus,

Exif_JPEG_PICTURE

vor dem ich den einzig erhältlichen Café genieße, keine geistigen Höhenflüge befördert haben dürfte . . . eine Stadt, in der Stand und Rang alles bedeuteten, 1870. Heute kann nur der Parkscheinautomat unsere Anwesenheit bezeugen.

Exif_JPEG_PICTURE

Rimbaud – mit 19 Jahren schreibt er sein letztes Gedicht und wird dann rastloser Geschäftemacher, einer von der üblen Sorte, die in den Kolonien Frankreichs ihr Glück versuchen( und die Céline wiederum so verachtungsvoll beschreibt).

Natürlich haben sie ihm Denkmäler gesetzt und Schulen nach ihm benannt.Was blieb ihnen anderes übrig.

Ob sich jemand in Äthiopien an ihn erinnert, wohin es ihn als französischen Waffenhändler und Glückssucher verschlug? Hier werden wir ihn nicht finden Wir kehren Charleville den Rücken zu – Dominik zieht sich in den Bahnhof zum Nickerchen zurück, Roy, der bereits auf einer Parkbank (den schönen Radweg haben wir dann doch gefunden) einen Managerschlaf abhielt, hat ein weiteres Café entdeckt – ab. Ingo und ich haben jetzt einen Tag in den Ardennen vor uns. Col de la Bonne Idée heißt der erste, aufmunternde Teil – es wird nicht die letzte, kräftezehrende Steigung in diesem wunderbar grünen Land.

Exif_JPEG_PICTURE

Unterwegs treffen wir einen weiteren Mitfahrer (Lars) und genießen die Qualität des Quellwassers der Ardennen, während mehr oder weniger verschmutze biker unseren Weg kreuzen. Jedem seine Prüfung.

Die Dörfer sind aus Schiefer, und hellgrauem Stein, der sich mit ockerfarbenen Varianten abwechselt. Die Häuser gut proportioniert, einige Höfe beinahe schon Burgen. So sehen die Ardennen stattlicher aus, als auf der Gegenseite das Fachwerk der Eifeldörfer, wo der weißgraue Rauhverputz ein übriges getan hat eine ärmliche Wirkung zu steigern.

Exif_JPEG_PICTURE

Unser Wetter bleibt mild, schwach windig, meine ¾ Hose und die Regenjacke sind genau richtig – bei knapp 15Grad nicht zu kalt, nicht zu warm . Es ist ein langer Weg bis Rochefort, an Steigungen zieht Ingo, der Stahlraser, mit einem Zahn mehr regelmäßig davon. Gut, daß er oben wartet, aber mehr kann ich hier nicht geben. Platzregen.

Exif_JPEG_PICTURE

Kleine Pfütze hier, kleiner Schauer da, nichts schlimmes. Die Sonne bricht durch und mach Stimmung für diesen letzten Sonntag im August. Dann ein deftiger Platzregen: schnell unterschieben, Pferde kommen näher – mögen sie Leuchtfarben?

In Rochefort, einer netten kleinen Stadt auf dem Hügelrist ist Kontrolle in einer Friture: sehr willkommen. Ich sehe der Entstehung einer Mitraillette zu (das Maschinengewehr) In ein aufgeklapptes Baguetet von 40cm kommen Pommes, Hackfleisch und käch-up zusammen.Exif_JPEG_PICTURE Bescheiden bleiben wir bei der Schale Fritten, gerade noch rechtzeitig vor dem Ansturm einer Motorradclub-Bande, die sich nach Ablegen der Lederjacken als artige, friedfertige Großfamilie mit vorbildlichen Tischsitten entpuppt. Zum Nachtisch gönne ich mir eine rucksackgereifte Birne. Nochmal Luft. Die Sonne lacht, das massive Schiff der felsgrauen kleinen Kathedrale von Rochefort, an der die belgische Flagge weht, wirkt so etwas leichter.

Exif_JPEG_PICTURE

Unter wehender Flagge sind die letzten 120km angesagt, ein Scherz also. Das Irrlicht Rimbaud liegt hinter uns, Céline schläft tief.

Wir haben die Wälder und Täler verlassen und finden ein windigeres, offeneres Land unterm Reifen. Seine Höhenzüge – Weideland und Mais – sind nur durch unangenehme Anstiege zu erreichen. Exif_JPEG_PICTURE

Weiter im Osten die Wälder der hohen Ardennen: Stavelot, 40km. Dann schließlich rollen wir in das Tal der Ourthe hinab, einem wahren Kilometerspender. In einem fast unmerklichen Abhang kann ich ganz locker rollen und verschiedene Sitzpositionen einnehmen – Entspannung. Es war schon knapp geworden auf dem ein-oder anderen Anstieg, den ich nicht einmal in 38×23 machen konnte. Der Krampf meldete sich von hinten rechts und so war ich gewarnt: nicht mehr forcieren, ganz klein kurbeln.

Vorher hatten wir ein letztes mal den compagnon Lars-auf-Trekking-Rad eingeholt, der in Rochefort keine Rast machen wollte, sondern gleich weiterfuhr. Ich sehe ihn noch windgeschützt hinter einem kleinen Hof sitzen, als wir uns zuwinken.

Das Tal der Ourthe ist ewig lang (und schön) doch leider verbannt uns der Navigator auf einen Radweg: die Fugen und Wurzeln auf dem Weg nach Esneux werde ich nicht so bald vergessen, immerhin bewiesen sie, daß ich nicht viel Luft verliere…….Abschnitte, die ich von Liege-Bastogne wiedererkenne.

Exif_JPEG_PICTURE

Die eigene Atmosphäre eines brevet. Während man bei ausgeschilderten Touristikfahrten (oder ähnlichen Veranstaltungen) immer wieder in Gruppen fährt und sich an den Verpflegungen um die besten Getränke rangelt, herrscht hier das Gefühl einer gewissen Weltverlorenheit. Einerseits schwimme ich im Alltag mit , andererseits bin ich ständig mit der Strecke beschäftigt, dem eigenen Körper, der nächsten Möglichkeit zur Rast.

Der brevetfahrer ist die zeitlose Gestalt des Reisenden. Er zieht durch eine unbekannte Welt, versorgt sich wie er kann, streift sie und folgt seinem Ziel. Er ist kein Mitglied einer integralen Freizeitveranstaltung, deren Teilnehmer ihre all-inclusive Leistungen abfragen und sich über die Geschmacksvarianten isotonischer Getränke austauschen.

Die Wahl abgelegener Landstriche, kleiner Straßen verwandelt die Welt zurück in eine Fremde, die überwunden werden muß. Und diese Fremde beginnt manchmal nicht weit von den Autobahnzubringern-

Nach 20h Dauerfahrt gleicht er auch ein wenig dem „trunkenen schiff“, mit dem der junge Mann aus Charleville vor über 100 jahren die Welt der französischen Lyrik auf den Kopf stellte. Über den Asphalt treibend, in Wetter und Atmosphäre aufgelöst, nur durch ein GPS mit der Welt verknüpft . . . .

Exif_JPEG_PICTURE

Wo seid ihr Kinderaugen, zu schaun die Herrlichkeiten?
Das Schuppengold der Welle, den Goldfisch, der da singt!
– Dies schaumumblühte Driften, dies Zwischen-Blumen-Gleiten!
Der Wind, der Wind unsäglich, der meine Fahrt beschwingt!

 ( Aus der Übertragung von Paul Celan)

Exif_JPEG_PICTURE

Ein Flohmarkt bremst uns, ganz Esneux ist auf den Beinen . Auf mehreren Kilometern werden die üblichen Alltagsgegenstände ausgebreitet. Der Überfluß vom Überfluß.

Dann wieder ein böser Platzregen, eine regelrechte Dusche. Ingo ist schon außer Sicht, aber ich hoffe, er macht das gleiche wie ich – einen sehr dichten Strauch suchen. Ich kauere mich unter einen haselbusch während der tropischer Guß das Wasser der Ourthe, die unter mir vorbeizieht,  zum schäumen bringt. Nach zehn Minuten, in denen ich versuche nicht auszukühlen, ist alles vorbei. Dann lasse ich meine silberne Glocke erklingen, in der Hoffnung, irgendwo möge Ingo mich hören. Niemand da.

Das Gestocher um die rechte Route, die vielen Unterbrechungen  zerrt am Gemüt. Ich bin nicht direkt müde, nur reizbar, weil jetzt so nah vor dem Ziel der Motor stottert, der Rhythmus raus ist.  Mein tempo werde ich nicht erhöhen können. Muß ich auch nicht: keine Pausen, außer fürs Unumgängliche, der Fahrtwind und die Uhr halten wach.

Nur noch 40. Fleron, hatte er gesagt. Wo ? Wie weit? Da rauscht er heran, Ingo, der navigations-Engel. Hatte mich gesehen. Ein großer Anstieg aus dem Tal noch, aber wo abbiegen? Erstmal an einem durch tiefes Wasser verdeckten Gullideckel ausruschen und ungefedert abkippen. Ein Cleat steckt fest: verdreht. Zum Glück sind es Wendepedale! Sacremildiu!

Es dauert eine Weile bis Navigation und die Navigatoren den „weniger steilen“ Track (zwischen Autobahnbrücken und anderem) gefunden haben: wieder eine verborgene Ravel-Linie. Nun macht Ingo wider Dampf – und weg isser. Ich frage zwei Passanten mit Hund: ja, in zwei Kilometern kommt die Nationale dort dann rechts ab, direkt nach Fleron. Da ist sie, Ingo muß schon drüber sein, ich vergewissere mich: ja, rechts der Nationale folgen, dann ist man mitten in Fleron.

Exif_JPEG_PICTURE

Das muß ich jetzt allein schaffen: noch 35km nach Roadbook, welches im Innern des Rucksacks wartet. Erstmal ein letztes Chimay von einem Sonntagsverkauf (die Tankstellen sind zu 24h Benzinautomaten degradiert!) bei dem der junge Schüler nicht einmal einen Flaschenöffner ansetzen konnte. Herrgott!

Der tiefe Schluck: er schmeckt noch besser als beim Ersten. Chimay bleue, sie sollten dich exportieren.

Endlos zieht sich die Nationale den Berg hoch, ein belgischer Straßenvorort in der Umgebung von Lüttich. Immer wieder auf den Radweg ausweichen, so eng ist es. Die Sonne wärmt von hinten: Backstein im Manchester –Stil , Zivilisation, du hast uns wieder: da, eine Eisdiele, geeignet für Kontrolle nach Wahl. Ich nehme eine Kugel von dem Eis, das mir die meisten Kalorien zuführt: NußNugat Sahne und Krokant, jetzt seid ihr willkommen.

„Ihre Kollegen waren schon da“.. meint die nette Frau hinter dem Tresen. Zufallstreffer. Jetzt frage ich mich durch, denn die Europastadt Maastricht ist hier in Belgien nirgendwo ausgeschildert. Wieder ein falscher Kreisverkehr. Eine falsche Autobahnbrücke. Es wird dunkel und die 24h sind um, als ich in Maastricht über die wunderschöne Fußgängerbrücke per Aufzug das Ziel der Fahrt erreiche.

Exif_JPEG_PICTURE

Im Hotel, 24h danach. Die Wellness-Brigade ist abgezogen, die Lounge gehört wieder den Randonneurs. Danke Ivo! Ich vergesse den 300er im nächsten Jahr nicht.

Und gerne gebe ich noch technische Details für die Interessierten weiter:

 

Das Rad:

Exif_JPEG_PICTURE

Premiere für ein Krautscheid Randonneurrad von 1980 , das ich mit einem Nitto-135 Randonneur- Lenker und Dia Compe Bremshebeln nachgerüstet habe.

Meinen Rucksack habe ich mit einfachen Gummiriemen von einem Hollandrad auf den integrierten Gepäckträger festgezurrt, vorne hilft mir eine kleine, leichte Decathlon Lenkertasche, die sich mit Klettverschlüssen beliebig n den Lenker anpasst.

Als Licht verwendete ich für vorn eine Trelock Leuchte, die ich über den Naben Dynamo von son antreibe. Nach hinten leuchtet eine ans Schutzblech angeschraubte, wasserdichte Simson Batterielampe mit großem Reflektor . Ab ca 32 km/h verursacht das eingeschaltete Dynamo leichte Gabelvibrationen.

Für den Antrieb habe ich eine 3fach Shimano XT gewählt: 50/38/30, das Hinterrad ist ein 6fach Dura Ace UG kranz 13-23, der von einer Dura Ace 7400 geschaltet wird: Gerastert.

Die Räder habe ich hinten mit dem 28er Pasela, vorn mit dem 25er ausgerüstet. Vorn läuft eine beinahe neue open pro hinten eine originae M3CD von, die etwas breiter ist.

Das Rad ist knapp geschnitten, Reifenbreite 28 ein maximum, dafür fährt es sich leicht und sicher.

Bis auf den Schleicher am Hinterrad (microloch – nochmal Glück gehabt) , einen schwergängigen Umwerfer (Fett vergessen) hatte ich nicht die geringsten Beschwerden.

Allerdings werde ich meinen so geschätzten Rolls- Sattel von SanMarco demnächst gegen einen Brooks tauschen, weil ich mir ein wenig mehr Komfort jenseits der 600km verspreche.

Kleidung:

Exif_JPEG_PICTURE

Als Ersatz und für den Fall einer kühlen nacht führe ich einen Pullover, ein Fleeceshirt, trockene Socken und einen langen Schlauchschal mit. Der Schlauchschal ist von Sterntaler, einem Babywäschehersteller und hält den Nacken schön warm, was ich die Nacht hindurch sehr angenehm fand.

Hose und Jacke stammen vom Discounter: die ¾ Hose ist ein modell das Lidl kürzlich anbot, und ich schon im Frühjahr erprobte. Diskussionen um bessere Sitzpolster habe ich nie so richtig nachvollziehen können. Die Regenjacke in Leuchtgelb führt Kranich Aldi seit 2 Jahren im Angebot. Sie ist so geschnitten, daß nichts im Wind schlakkert, hat eine Rückentasche für meine Camera und der Kragen ist genau richtig gefüttert. Darunter trug ich ein einschichtiges Sugoi langarmshirt und darunter am Leib das ebenfalls ausgezeichnete Aldi Merino Tshirt, daß ich ebenfalls nur preisen kann: ich warte auf die nächste herbstaktion, denn die 30 Euro dafür sind gut angelegt.

Dies sage ich nicht um das geschäftsmodell von Rapha zu schädigen, nein, nach meiner beobachtung sind solche Artikel recht einfach herzustellen und der Umfang der Radzubehör Kataloge läßt vermuten, daß mit dergleichen Artikeln eine satte Spanne zu erwirtschaften ist. Wenn man sie also in reinschwarz bei einem discounter erwirbt, hat man perfekte Berufskleidung.

Daß meine Socken aus möglichst reiner Wolle bestehen, wiederhole ich hier gern: auch bei einer Durschnittstemperatur von weniger als 15 Grad. Erst als ich die Schuhe auszog spürte ich, daß meine Strümpfe von Regen und Spritzwasser durchnäßt waren.

Dieser Beitrag wurde unter Übers Land, Mehr Lesen, Spleen & Ideal abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar