160915 Tombeau pour Luis Ocana
„Ich heiße Luis Ocana Pernia. Ich wurde am 9ten Juni 1945 in Priego geboren, in Neu-Kastilien zwischen Cuenca und Toledo, im Spanien Francos. Ich war Rennfahrer, Radrennfahrer, einer der größten, ein Champion. Arrogante . . . “
Hätte ich nie diesem Roman geglaubt. Ich hätte sein Grab vielleicht gefunden.
Die Küste ist überlaufen und für die Berge fehlt eine Woche nach Paris Brest die Kraft, der Punch für die ganz harten Stücke. Ich ziehe ins Landesinnere, an die Ränder von Bearn und Gers. Diese heiße Region ist für ihre Enten- und Gänseleberpasteten berühmt, und hier gehen Maisfelder irgendwann in Weinreben über. Armagnac heißt der Brand, der daraus gewonnen wird.
ich mache mich nach Norden auf, die Straße läuft schnurgerade über die Hügel nach Mont de Marsan; einige Platanenreihen sind geblieben, hier und da gemalte Werbung auf Häuserwänden, als wären die 1960er nie vergangen; und am Horizont läßt sich ein Turm blicken.
Bei St.Sever erreiche ich die Adour und folge ihr ostwärts Richtung Grenade. Die Hitze gewinnt an Metern, der Mais wird mit mobilen Wassersprengern gewässert, die sich aus dem Fluß speisen, ein paar Tropfen fallen für mein Snel ab.
Vor den Cafés genießen sie den Sommertag, die Läden der Häuser sind bereits geschlossen- , ich kürze nach Norden ab, der gleiche rauhe, frischbestreute Asphalt wie vor la Chèze , 600km von hier, und ich fühle den Sattel noch deutlich.
Kreuz und quer nach Villeneuve de Marsan, in einem kleinen Café schnell nach dem Weg fragen und kurz mit Blick auf die IGN Karte den Dorfgeschichten lauschen.
Labastide d’Armagnac, ein quadratischer Dorfplatz, eine scheppernde Glocke, streunende Hunde, Spanien ist nicht fern das Land bekommt eine hellere, trockener Tönung. Unter den Arkaden eine Pizzeria – schön dünn gewalzter Teig, von fast 60 zentiumetern. Noch kann ich keine gedanken ans Esen verschwenden, denn ich suche einen Mann. Ich suche suche Ocana und die kleine Kapelle der Radfahrer, keine Zeit für Pizza. In dieser Ecke wuchs er auf, hier gewann er die ersten Rennen und hierhin kehrte er zurück – für immer.
Ich suche das Grab von Ocana. Es soll an der Kapelle sein.
Von dieser Kapelle hatte ich einmal gehört, vom Hörensagen. Dann entdeckte ich beim Kartoffelschälen diesen Artikel, beinahe zu spät. Der Pfarrer ist in zweiter Generation tätig, das kleine Gebäude wurde bereits 1960 dem Radsport geweiht, erste Trikots wurden gestiftet, die champions kamen. Dem Radsport fehlte eine Kultstäte, ein Pfarrer erfand sie.
Diese Tradition dauert nun schon über 50 Jahre an, eine eigenartige Symbiose von Sportkult und Religion. Coppi, der einmal fand, daß der liebe Gott bessres zu tun habe als Radrennfahrern beizustehen, kam dennoch zur Einweihung. Und Ocana selbst kam am Weihnachtstag 1966 mit seiner Braut, um sich trauen zu lassen. „Willst Du wirklich einen Spanier zum Mann?“ soll der angehende Profi sie gefragt haben. Denn er war nie Franzose.
So lese ich es, als ich einige Kilometer hinter Labastide den flachen, sehr einfachen Kirchenbau auffinde. Eine kleine Stele erinnert an die Champions des Departements, Darrigade und natürlich Ocana. Aber von den wenigen Gräbern neben der Kirche trägt keines den Namen des Spaniers.
Der Pfarrer öffnet die Türe erst wieder um 15 h, – fotografieren innerhalb des Gebäudes untersagt. Wozu also noch warten, Ocana ist längst wieder unterwegs.
Sein Vater war mit Frau und Kind 1951 aus Kastilien ausgewandert – um Arbeit zu finden. Zunächst in den Pyrenäen als Waldarbeiter, dann bei einer Erzeugergenossenschaft in Le Houga. Le Houga ist der nächste Ort auf meiner Pilgerreise, dort soll der geliebte Vater (er starb an Krebs) beerdigt liegen. Le Houga liegt auf einer Anhöhe, ein größeres Straßendorf in dem Bäckerei und kleine Läden zum Verkauf stehen. Hier hatte auch einer meiner entfernten Onkel eine Residenz, die er mit dem sandmetallisierten DS anfuhr .Tempi passati, verkauft, vergangen , vorbei.
Viele Namen mit italienischen oder spanischen Wurzeln auf dem steinigen, heißen Friedhof. In der Ecke fülle ich meine Wasserflasche wieder auf und lasse die Silos der Coopérative hinter mir. Ocanas Vater hatte Heimweh und sein Sohn genug Geld, ihm den Wunsch zu erfüllen : er liegt in seinem Heimatdorf begraben, der Geruch der Olivenbäume umgibt ihn wieder. Sein Sohn blieb und gewann weiter.
Hätte ich nur nicht diesem Roman geglaubt.
Von hier, aus le Houga, fuhr Louis Ocana dieses Straße entlang zur Schule nach Aire sur l’Adour , um die 12km. Er bekam das graue Rad seiner Cousine, das er innig liebte. Das kleine Senfkorn, das in die richtige Erde fällt. Er besuchte die Volksschule und begann eine Schreinerlehre. und fuhr rennen „Wie ein wilder Hund“, erinnert sich der Trainer, ein Italiener , Chef des Clubs von Mont de Marsan.
Die Schreinerlehre beendete er, indem er nach dem Meister einen Hobel warf – eine respektlose Bemerkung reicht.
Aire: Dort will ich auch aus einem anderen Grund hin – der entfernte Verwandter, der legendäre Oncle Robert, betrieb dort ein erfolgreiches Damen- und Herrenbekleidungsgeschäft. Die Messen waren in Paris und so kehrte er regelmäßig bei meinen Großeltern ein, um seine Geschichten zum besten zu geben und tagsüber die Order auszuhandeln. Ein sehr geschickter Händler. Von ihm lerne ich den bezeichnenden Satz des Kaufmanns: „es gibt keine Gauner, sondern nur dumme Kunden (des clients idiots)“. Aire sur l’Adour mit seinem rasterförmigen Grundriss ist eine Wohltat. Die Stadt wirkt nicht nur aufgeräumt sondern der Handelsgest scheint überall noch zu wehen. Eine Insel.
Die Schaufenster des Einzelhandels sind herausgeputzt und bieten frische Ware. Die Rue Gambetta, in der das kleine Stadthaus mit Innenhof stand, ist unverändert seit meinem einzigen Besuch 1979.
. . und genieße hier ein exzellentes Baguette aus der klimatisierten Patisserie. Die nette Dame aus dem Schreibwarengeschäft hatte mir den Bäcker empfohlen. An der großen Brücke, im Schatten der Platanen wird es genossen, bevor die kleinen Hügel des Umlandes genaommen werden. Immer wiedre sehe ich Pilger auf dem Jakobsweg.
Es ist immer noch heiß. Subtropisch. Der Belag ist rauh, nicht rauher als anderswo in Frankreich, aber die Haut ist noch sehr dünn. Der Rückweg bis Hagetmau ist eine kleine Tortur und ich beiße die Zähne zusammen. Mein Held hätte darüber nur gelacht.
Luis Ocana nahm sich am 19 mai 1994 auf seinem Gut Miselle in Caupenne D’Armagnac das Leben. Er war der einzige, den der große Merckx wirklich fürchten mußte. Was er an Stolz und Talent hatte fehlte ihm an Glück, besser: fortune.
Seine einzige tour de France gewann Luis Ocana 1973 mit einem Vorsprung von einer Viertelstunde.
epilog:
wir dürfen nicht vergessen, daß seit dem ersten Jahrtausend nach Christus immer weniger Heilige auf die Welt kommen. Die Zahl der Märtyrer sank ins Bedeutungslose, Kirchen hat man ihnen keine mehr gebaut, keine Altäre geweiht und Gemälde huldigen ihnen schon dreihundert Jahren nicht mehr. Wir suchen dringend Nachfolger. lassen wir den Radfahrern zumindest eine Kappelle in einer heißen, einsamen Provinz.