Der große Vergleich der Dreifachkurbeln

Ihre große Zeit waren die 90er – die Zeit, als Mountainbikes für den Radmarkt das waren, was heute die Elektrischen sind: ein Verkaufsturbo. Das wirklich tolle am Mountainbike waren nicht die Bergtouren, die in den meisten Städten entfielen, sondern der Sieg im Wettrüsten der Gänge. 21 Gänge, das letzte Wort im Wettkampf der kleinen und großen Jungen. Dank Dreifachkurbel.

am2Arme Rennfahrer, da konnten sie nicht mithalten. Mithalten konnten dafür nun alle, die mit ihrem 12 Gang Sportrenner oider der Torpedo 3Gang nabe am kleinsten Hügel in brutale Atemnot kamen. die konnten sich sicher sein: jetzt, mit Untersetzung stand allen die Welt bis zum Himalaya offen  – oder eben bis zur Binnenalster.

Ein wenig Technikgeschichte

Das Mountainbikezeitalter begann mit 110mm Kurbeldurchmessern und winzigen Kettenblättern innen, die bis zu 20 Zähne hatten. Drei Kettenblätter mit einer Riesenspanne an Übersetzungen, die dank neuartiger, rastender Schalthebel funktionierten die Dinge auch ohne weitere Fahrpraxis. Ein Killer, der auch ständig weiterentwickelt wurde.

Als sich die Pedalierfrequenz im Hochleistungssport änderte, zog auch dieser „kompakte“ Kurbeln auf . Immer größere Ritzelpakete sorgten für geschmeidige Abstufungen. Schnell wurden aus Neunen 10 Ritzel, die dann vor wenigen Jahren durch das magische 11te Ritzel obsolet wurden. Vergagenes Jahr hörte ich, 10 Ritzel seien nicht mehr zeigemäß und es warten schon 12fach Kassetten auf Kundschaft.

ama1Und so verlor die Dreifachkurbel ihre Dominanz:  22 Gänge, dem war nichts mehr hinzuzufügen. Das ist das Gesetz der großen Zahl.

Auf dem Weg zur richtigen Übersetzung

Aber auf der Suche nach einer passenden Übersetzung war mir anderes wichtiger: mit dem 3fach Kettenblatt wird der Sprung nach unten leichter. Es ist nicht immer wichtig, einen sehr schweren Gang zu haben – etwa 53×12 – manchmal dafür sehr wichtig, einen sehr kleinen gang in petto zu wissen – in etwa 26×28, für alle Fälle. Ich wollte eine Art Schweizer Messer für die Straße. Vielseitig, kompakt, robust und leicht genug, mich auf der Langstrecke, den Bergen und im Alltag schnell zu fühlen.

Ein- oder zwei solcher Räder besaß ich schon. Aber „Luft nach oben gibt es immer“, sagte damals Churchill. Mein erster Versuch war  das Raleigh Carlton in Lagoon-Blue . ich bin es auf dem Brevet in Heerlen vor einigen Wochen sehr gern gefahren.

ac 11Dieses englische Rad hat einen großen, leichten 62 Rahmen und eine Geometrie, die noch Schutzbleche und 28mm Reifen erlaubte. Ein Rahmen von 1980, der eindeutig in die alte Zeit wies: gemacht für 6 Gänge, so schmal fiel der Hinterbau aus und Bremsen müssen noch mit Muttern an den Stegen befestigt werden. Ein feiner Mix aus Komfort und Wendigkeit. Fast ein Rennrad.

amk2Dann kam das Krautscheid, eine Maßarbeit aus Bochum mit Schutzblechen und perfekt eingepaßten, langschenkligen Bremsen. Aufgebaut mit der ersten gerasterten Schaltung, einer 6fach Dura Ace. Hinten ein Gepäckträger, Der aber zeigte sich weniger praktisch: das Fahrverhalten mit Beladung war wirklich vorneherum nicht so stabil wie nötig, allzuleicht schwamm die Fuhre auf – leichte Kavallerie.

Für einen Brevet in Franken versuchte ich es mit einer Dreifach-Kurbel, man hatte vor steilen Rampen auf dem round the clock 400er gewarnt. Nicht verkehrt,  mit 30×25 maximal war das eine Basis. Das Rad lief den 400er schnell und leicht, die Gänge schnappten knackig ein, erst recht, nachdem ich ein XT Schaltwerk hinten montiert hatte – der lange Käfig bringt es. Die Dreifachkurbel wird mit friktion geschaltet, der passende Umwerfer ist eine große Hilfe – an klappts ohne Hakeln. Beachtet man die Regeln dann sit 3×6 schon eine flotte Sache.

Der Schritt in die falsche Richtung

DSCF9621Es war ein schönes Rad und ein gutes Angebot: das komplett ausgestattete Randonneur Extra von Koga Miyata. 3×7 Shimano XT equipped , Gepäckträger an allen Seiten Beleuchtungsvorrichtung, Schutzbleche – ein Rad wie aus der Musterkollektion französischer Randonneurschule, aber Baujahr 1989.

Es wurde ein Lernbeispiel.  Da waren Cantileverbremsen, der lange Radstand, eine stark vorgebogene Gabel (wie aus den 50ern) und flache Rahmenwinkel. Die Reifen machten die Straße vergessen und die Maschine lief vor allem gern geradeaus, fast wie beimcov3 Hollandrad.

Um nicht allzufrüh aufzuschaukeln war Beladung vorne fast Pflicht. Man kann mit so einem Rad sicher rund um die Welt oder eine Zelttour planen, aber im geruhsamen Tempo – es ist ein Wanderrad.

Für Brevets war es ein Schritt in die falsche Richtung.

am1Mit dem Marschall schließt sich ein Kreis, wurden verschiedene Teile zu einem ganzen. Aber nur im Vergleich kann man Unterschiede beschreiben.

Der Vergleich der Superrandonneure

amk3Damit heißt es Dortmund gegen Bochum. Marschall gegen Krautscheid. Die Rahmenmaße weichen kaum voneinanderab, an der Kettenstrebe ist es 1 cm mehr für den Dortmunder Marschall: 43 cm Länge, fester Ausfaller.

Trotz unterschiedlicher Sättel ändert sich die Sitzposition wenig. Die völlig anders angebrachten STis  machen einen Komfortunterschied, sie lassen sich  leichter greifen und verringern die die Sitzlänge, was im Stand ein Vorteil ist. Die klassischen Bremsehbel  am Krautscheid dagegen strecken den Körper, das wirkt erst einmal unbequemer. Ein Rad läß sich aber nicht im Stand beurteilen, im Stand ist ein holländischer Tourer das bequemste Rad .

amk5Dura Ace Rahmenhebel haben eine kräftige Rasterung, Von längeren Brevets ist  bekannt, wie schwer es ist, seine Hand für eine kleine Schaltvorgang vom Lenker zu nehmen und dabei das ganze Gewicht auf eine Hand zu legen. Das war ein guter Grund, nach vielen Rädern endlich einmal STis zu montieren.

Im Fahrverhalten (mit gleichen Laufrädern) fällt beim Krautscheid die (relative) Nervosität, beim Marschall die gleitende Ruhe auf. So etwas läßt sich leicht in verkehrsberuhigten Zonen testen, wo die Straße mit Wachbetonsteinen gepflastert ist. Mit Schwung drüber und schnell fühlt man, wie sehr Unebenheiten verschwinden oder das Rad zappelt und bockt. Hier machen sich vor Radstand und die längere Gabel sanft bemerkbar. Und vielleicht die Kunst des Rahmenbaus aus Edelstahl.

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Fährt das Rad aus Bochum sich noch eher wie ein Rennrad, so läuft das Marschall gutmütiger, ohne gleich träge zu sein. Es hat nicht mehr so dieses direkt-nervöse, das nach hunderten Kilometern allerdings eher stört .

am3Doch für andere Urteile ist es noch viel zu früh. Das Jahr noch lang genug, erstmal wollen die 200km darauf gefahren sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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5 Antworten zu Der große Vergleich der Dreifachkurbeln

  1. mark793 schreibt:

    Es stimmt, mit den STIs gewöhnt man einen anderen (höheren) Griff an. Deswegen habe ich vor der Fahrt mit Deinem Krautscheid seinerzeit den Lenker etwas nach oben gedreht.

  2. crispsanders schreibt:

    Die konstriuktiv andere Form der Hebel (zwei Seile und eine Ratsche müssen in den hebel integriert werden) hat dann auch zu andersförmigen Lenkerbögen geführt. Unterlenker ist in diesem Jahrtausend weitgehend verkümmert – dagegen gibt es etxrem anmutende Überhöhungen .

    • mark793 schreibt:

      Das Thema Unterlenker habe ich in den Jahren, in denen ich überwiegend Hornlenker gefahren bin, tatsächlich vernachlässigt. Bei den sogenannten ergonomischen Rennlenkern, wie sie in den 90ern aufkamen, greife ich eher mal unten als bei den klassischen Rennbügeln, warum auch immer. Hängt auch vom Rad (und wahrscheinlich von der Oberrohrlänge) ab.

  3. crispsanders schreibt:

    definitiv hängt die Position vom Rad und damit von Rohrwinkel, Oberrohrlänge und Überhöhung ab. Räder mit Bremsschalthebel brauchen Lenker, bei denen das Schalten auch vom Unterlenker aus funktioniert, während vorher nur das erreichen der Bremshebel an ihrem Ende notwendig war .Insgesamt werden damit Bögen kleiner, abegesehen von einer Überhöhung , die auf den Oberlenkergriff abgestimmt ist.
    Von professionellen Rennrädern darf man sich nicht irreleiten lassen. Dort werden Positionen gefahren, in denen die ganz überwiegende Menge der Hobbyfahrer überhaupt keine Kraft aufs Pedal – geschweige denn Luft – bekäme.

    • mark793 schreibt:

      Das stimmt, und deswegen habe ich mich auch nie am Profizirkus orientiert. Mein Rücken, mein Hintern, mein Tritt und meine Hände sind seit jeher die Richtschnur. Alles andere ist primär, um es mit dem Comedian Rolf Miller zu sagen.

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