Staufenberg – Besuch beim Kurzeck

Juli Zweitausend21

„Als Schriftsteller machst Du aus dem entferntesten Winkel des Globus den Mittelpunkt einer Welt“

Alain Mabanckou

am1Es ist der Tag, an dem alle Geschäfte wieder öffnen, an dem überall eingekauft werden darf und in Cafés keine Abstandsregeln mehr gelten. So gesehen Tag 1 nach der Pandemie, vielleicht aber nur tag 1 vor der Delta Variante. Es ist ein schöner, ein ganz besonders milder Sommertag. Mein Rad ist die rote 1, es ist unterwegs nach Staufenberg, dem Ort von Peter Kurzeck. Peter Kurzeck hat mit Rädern nichts zu tun,  er war als Kettenraucher und Koffeinliebhaber ein eher unsportlicher MeMensch, ein Schriftsteller reisten Wassers,  ein Mensch der schreiben mußte, damit nichts verloren ging.

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Peter Kurzeck war Schriftsteller, er wuchs in Staufenberg auf und starb in Frankfurt. Auch wenn sein Kosmos im wesentlichen ein hessischer Kosmos war, wollte er das ganze Jahrhundert in seinen Romanen einfassen. Sein ganzes Jahrhundert, die Zeit von 1950 bis 2000. Der Ausgangspunkt, der Kern aller Erzählungen, die auch ein einziger Strom eigener Gedanken und Sinneseindrücke sind, ist das kleine Dorf Staufenberg mitten in Hessen.

Und hier spricht Peter Kurzeck selbst. (aus übers Eis).

„Zum Beispiel Staufenberg, das ist ein Dorf. Ist nicht weit von hier. Dort gibt es Basaltfelsen,  die sind blau. Die Pflastersteine auch blau.  Ein kleiner Mairegen und auch schon vorbei . Und wie sie so nach dem Mairegen glänzen , die Steine.Fachwerk und rote Ziegeldächer und alle Fenster offen.  Gärten und Gartentürchen und Scheunen.  Einen Turm gibt es, der hat ein Gesicht. Das Dorf steht auf einem Basaltfelsen. Immer so, wie du dich gerade fühlst, sieht der Turm dich an mit seinem Gesicht.

Gärten und Hecken und Feldwege. Langhin zwei Wagenspuren und immer auf den Horizont zu.

Am Dorfrand die Teiche. Manche Teiche am Abend wie flüssiges Gold. Du gehst aus dem Dorf. Die Straße nach Odenhausen ist auch nur ein unverdrossener steiniger Fahrweg. Aber die Bundesstraße 3, die Schosseeh, die alte Fuhrmannsstraße, die ist gepflastert. In weitem Bogen am Dorf vorbei und rennt. Rennt der Ferne entgegen. Nach Süden, nach Norden. Hörst den Abendzug fahren im westlichen Tal zwischen Fluß und Berg. Der Fluß ist die Lahn. Und neben der Lahn still daneben die alte Lahn.

ab5Nach Heu riecht es.  Erst das Heu, dann das Grummet. Über das Heu gehst du auf das Staufenberger Kirschenwäldchen zu. Mai oder Anfang Juni und bald sind die Kirschen reif.

Aber das muß weit zurück ein vergangener Mai und wenn du das nächste mal hinkommst, wirst Du nichts mehr wiedererkennen . . . .“

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Bin also gleich angekommen. Das Schloß schon von weitem sichtbar, die Straße von Ruttershausen führt schnurgerade darauf zu. Kein Vertun.

a4Staufenberg ist nich weit, nicht allzuweit. Von Gießen aus eine halbe Stunde, von meinem Gartentor dann gute 2. Richtung Nordost, schräg am Bergmassiv entlang.

Es geht über die südlichen Ausläufer des Westerwalds, Elbachtal, Ulmtal, am Schluß das Dilltal. Und danach noch ein wenig vom Gladenbacher Bergland am Hohensolms vorbei und auch neben dem Dünsberg her, das ist der Bergkegel mit dem Fernsehturm den Gießener von weitem sehen können.

a6Viel Wald, viele Wiesen. Wiesen die herumrollen, Männer die in ihren Einfahrten stehen, an der Heckleuchte ihres Autos.

Es kommen Höhenmeter zusammen. Katzenfurt, Ehringshausen, Bermoll

ab2Dann noch ein letztes Dorf mit Burgruine und die schnurgerade Straße nach Ruttershausen. Das Nachbardorfliegt auf der anderen Lahnseite, der westlichen, und eine kleine Brücke, an der zwei Schuljungen neben ihren Rädern sitzen, führt schnell drüber hinweg. Dann ein Buckel mit weiterer kleiner Kirche (die Mühle ist ein Mehrfamilienhaus mit Wäscheleinen) und unter die neugefasste B3 hindurch. Vierspurig.

Schon ist man am Fuß von Staufenberg, gleich in den Schrebergärten geht der Feldweg mit Anstieg aufs Dorf zu.

ab3Grün wird geschnitten, die Straße gefegt, es ist ja Samstag. Links hoch der Dorfturm. Das Dorf: geschlossenes Bild, keine Ruinen oder Lücken, das sind fast ausnahmslos die ursprünglichen  Häuser. Noch höher ginge es zum  Schloß.

ab6Ich geradeaus  komme schnell ans Ende zum Friedhof. Dahinter Wiese und ein Aussiedlerhof mit glitzernden Silos. Von hier der Blick auf Mainzlar ins Lumdatal , und etwas weiter rechts, ganz nach Süden die Aussicht über Lollar hinweg.

Wieder zurück in den Ort, ein Basaltvorsprung mehr als ein Kegel , die Häuser im Halbkreis unter der Burg, dicht an dicht.

ab7Gleich wieder den Knick in die Gasse und im Halbkreis vorbei am Turm, bis zum anderen Dorfende.

Dort der Blick nach Westen auf das Lahntal:  Bundesstraße 3 – also die Schosseeh, dahinter Lahn und Bahnlinie. Wie gerufen kommt der kleine Zug aus Marburg vorbei. Rote Triebwagen. Schall geht nach oben, also hört man alles sehr deutlich, die Autos auf der Vierspurigen Straße und die Bahn zwischen den Bäumen.

ac1Ein Biergarten mit diesem Ausblick, ganz ungestört.  Schon möchte mir der Wirt etwas anbieten, er macht gleich auf.Hier endet das Dorf am Waldrand. Ein alter Traktor kommt heraus. Hanomag Granit.  Ich ziehe weiter.

as3Durch die Gasse ans Torhaus, zum Kreuz. Da beginnt die Hauptstraße ins Tal, aber von hier geht niemand mehr zu Fuß bis zur Bahnstrecke, die drei Kilometer nach Lollar ins Buderuswerk.

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Der Eckladen mit seinen messinggefaßten Schaufenstern, die leicht auskragen –  ist jetzt eine Art Schneiderei.  An der Ecke geht die Hauptstraße hinunter, geradewegs zwischen zwei Schulgebäuden hindurch. Auf jeder Straßenseite eines. So läuft das Dorf aus – alles Folgende ist Vorstadt, Zwischenlage…

ac5Und dann lese ich vor der roten Schule seinen Namen: Peter-Kurzeck-Platz. Das hätten sie 1948 nicht gedacht, als er ankam in diesem Dorf. Es stehen große Linden am Schulhof. Eine Tafel mit Lagekarte, Schauplätzen und Legende. Für Kenner und Forscher. Von hier geht es gleich weiter nach Lollar, zum Buderus.

Es kommt immer einer von außen und merkt sich alles, vor allem Sachen, die keiner beachtet.

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2 Antworten zu Staufenberg – Besuch beim Kurzeck

  1. monnemer schreibt:

    Wie wahr der letzte Satz ist…
    Der strahlendste Tag wurde für den Besuch ausgewählt. Ganz dem Anlass entsprechend.
    Danke für das Bekanntmachen mit diesem großen Erzähler. Und für den Fahrtbericht natürlich auch.

  2. crispsanders schreibt:

    Beides sehr gern – auf die Leser kommt es an!

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