14 h später bin ich wieder am Ausgangspunkt, mitten im Frankfurter Hauptbahnhof. Ich habe gerade die kleine Lokalbahn um 2 Minuten verpasst und der Ausfall des nächsten Zugs hält mich für weitere 2h im Bann dieses großen Orts. Die riesigen Stahlträgerbögen, die das Dach des Bahnhofs morgens in hunderttausend Fragmenten glitzern lassen, sind jetzt in dunkler Ferne, das hellste Licht strömt aus der Ladenzeile am Kopfende der gigantischen Halle. Ich habe unerwartet viel Zeit, den Tag Revue passieren zu lassen, während ein gut eingespieltes Team die Kundennummern des Burger King aufruft. Sie sind gut eingespielt, noch eine halbe Stunde dauert die Schicht – wir Kunden, Die Reinigungstruppe, die Mädchen in knöchellangen Gewändern an den Tischen wir alle: ein buntes Gemisch.1 Fahrrad.
14h vorher stand ich mit OS (Name der Redaktion bekannt) an einem dieser kleinen säulenförmigen Universalautomaten. Und zauberte dank seiner kundigen Hilfe ein Überlandticket für den Tag daraus hervor. Die Bahn kennt unsere Absichten, wir wollen über Land, wir wollen in den Odenwald – meet and greet in Mannheim.
Das Wetter ist noch einmal umgeschwungen – wir umkurven Pfützen und kleinere Astbrüche in einem Mannheimer Park und rollen geschmeidig aus der Stadt hinaus.Wir sollten zu 7t sein, mannigfaltige Räder, meistens mit Schutzblechen, Metall aus 40 Jahren.Erstmal bezwingen wir die Rheinebene, verlassen die Rasterlogik ausufernder Wohnstätten.
Vorbei am Kraftwerk, es soll tatsächlich nur mit Kohle betrieben werden. Dann entlangder Hochspannungsmasten Richtung Heidelberg, überqueren wirddie großen NordSüdachsen der Deutschen Railion; unterqueren Autobahnen und sehen die bewölkten Höhen des Odenwalds allmählich heranrücken.
Bevor es an den herben Ansteig zum Königsstuhl geht, grüßen wir das größte Kaufhaus der Stadt. Die Pracht und die Herrlichkeit. Es wird berichtet, wie geschickt der alte Eigentümer seine privaten Finanzen in Sicherheit gebracht hat, während drinnen die Lichter flackern. Die Sonne scheint, wir geniessen, solange es geht.
Denn es wird ernst. Links erhascht man in den Serpentinen noch die Schloßruine, passiert Villen in Halbhöhenlage und sieht sich recht unvermittelt Rampen gegenüber, die ein gutverdautes Frühstück verlangen.
Ich darf nach den folgenden 3 Kilomtern sagen: wer einen sogenannten Pizzateller oder ein drittes, kleines Kettenblatt hat, ist gut beraten. Die Heidelberger jedenfalls haben einen alpinen Übungsberg gleich hinter dem Gartentor, den man ihnen neiden kann. Wir kauen andächtig die ersten Riegel und Bananen an der kleinen Hütte.
Das Tor zum Odenwald, einem Gewoge von Abfahrten und Auffahrten, kleinen Seitentälern, Dörfern und Gehöften. Noch vor gar nicht langer Zeit war es die große Sommerfrische, das kleine grüne Erholungsparadies vor dem Jet Zeitalter. Unsere Fahrt unter dem Radar der Reisebüros ist einstarkes Konzentrat solcher Urlaubstage.
Apfelbäume alle noch in Blüte, es ist eine Zeitreise zurück in den Frühling. Unten werden langsam die Erdbeeren reif, hier messen die integrierten Sensoren 2 Grad (oben) oder 6 Grad (im Tal), da läuft das Jahr etwas langsamer.
Einen wichtigen Vorteil des kühlen Aprils erkennen wir schnell. Unser zweirädriger Freund, das Motorrad, bleibt mehrheitlich in der Garage oder bewegt sich an wärmeren Orten.
Wir bleiben also von den Kolonnen der (anderen) silver – ager verschont, können gemütlich im Gespräch nebeneinanderher rollen. Was sind die Dinge, die uns bewegen? Die nächste Wolke, der nächste Höhenzug. Die Gruppe rollt gut, wenn nach 2 Stunden keine Panne eintritt, ist das ein gutes Omen.
Wir genießen es, von niemandem behelligt zu werden, ganz selten grüßen wir einen Radfahrer, auch wenn dies ein ideales Terrain ist., die Daheimgebliebenen werfen nur kurz einen Blick über den Zaun und gehen dann ihrem Geschäft nach.
Wir schwingen in die nächste Kehre, sortieren die Gänge neu und oben wartet die neue Aussicht. Welle um Welle, für den Radsport ist im Odenwald genug Platz. Für den Fremden ist der Charakter dieser Landschaft diffus. Tal folgt auf Tal, die sanften Höhenzüge und Wälder gleichen sich, es ist ein schönes Land, wie im Märchen wissen wir bald nicht mehr, wo wir sind.
Fast jedes Ladenschild wirkt historisch, die Gewerbe“freiheit“ der Dörfer und auch kleinen Städte ist nicht zu übersehen. Wer etwas braucht, muß in die Metropole, wo der große Rewe Markt die zentralen Versorgungsstätte für Alles ist. Die Umbrüche schreiten fort, seid 2019 nach meiner inneren Uhr, es kann auch schon etwas früher gewesen sein.
In Eberbach satteln wir ab, ein wenig Wärme wäre gut und etwas zwischen die Rippen. Die Ausfahrt kann sich an der Theke entscheiden.
Nette Bedienung beim Kettenbäcker rundem, irgendwie altdeutschem Gesicht. Man kann das aus Marienfiguren der rheinischen Meister im 15jh. Jedenfalls ableiten. Hinten rechts der gut besuchte Pfandautomat, vorn strömen die Kunden ein und aus, einer beschwert sich über das heiße Wasser in der Kundentoilette. Es gelingt mir nicht, zwischen zwei gefüllte Einkaufswagen mit Pfandflaschen zu schlüpfen, ich überlasse die leere Kefirampulle der Kasse.
Wir verlassen die Stadt, die von massiven roten Sandsteingebäuden in ihrer Mitte geprägt wird; dies sind die festen Plätze im Reich des Würzburger Bischofs. Seinen Bewohnern beliebt nicht s anderes übrig, als Aufgetautes, Aufgebackenes und Eingemachtes zu essen, bis der Herbst kommt.
Die Wälder haben uns wieder, wir streben dem Kulminationspunkt zu, allen ist wieder warm, mir wird müde. Kaffee ist auch nicht mehr, was er mal vor dem Krieg war. Wir arbeiten uns vor, es geht zum Katzenbuckel, die höchste Kuppe der Region. Es ist keine sehr markante Erhebung, ein windfreies Hochplateau führt dorthin, die Bäume werden spärlicher und der U, unser Bergführer freut sich, daß hier so üblichen Niederschläge ausbleiben.
Die Höhe des Katzenbuckels wird über einen kleinen Weg am Ortsende erreicht. Die letzten hundert Meter sollen recht grob und steil geschottert sein, wie mir die wenigen berichten, die ihn erreicht haben. Zu sehen gibt es eigentlich nur Wald, aber so ist der nächste Nagel am virtuellen Spazierstock, der den Namen strava trägt.
Mitten im Dorf, schon auf der Abfahrt spricht ein Gebäude von Herrlichkeit und Niedergang eines Berufsstandes. Das Hotel Adler ist dem Verfall preisgegeben, ein ansehnliches Gebäude, in dem viele Familien ihre Ferien verbracht haben dürften. Ihnen reichte vermutlich die gute Luft hier, die sie von der rauchgrauen, stickigen Rhein/Main Ebene gewohnt waren. Ob der Klimawandel dem Adler oder seinem Nachfolger in die Hände spielt? Die schöne Abfahrt allein ist es uns wert.
Der Odenwald überhaupt ist es wert. Wir sehen noch eine Landkultur, die auf Milchtüten, Bilderbüchern oder Serien des öffentlich rechtlichen verbannt scheint. Früher hielt sich jeder im Dorf eine Kuh, Hühner oder ein Schwein. Die mangelnde Zeit ist es nicht, davon gibt es (postindustriell) mehr denn je, vielleicht ist die Gebundenheit an eine Wiese, an zwei drei Kreaturen das Problem. Jedenfalls, solange der nächste Markt weniger als 30 Autominuten entfernt ist. Bauern erregen in einer virtualisierten Gesellschaft eher Verwunderung denn Anerkennung. Früher galten sie einfach nur als rückständig heute stellt t man sie als Euroschnorrer mit zu großen Traktoren hin, wenn sie nicht in das dekorative Narrativ der Rama – Familie passen.
Ich aber genieße kurz den strengen Duft des ungenormten Misthaufens.
Mit einer Rampe Richtung Tromm quält uns der vorzügliche Routenplaner, danach wird es (dank Ritter Sports Olympia) zwar angenehmer, aber heraus aus dem Labyrinth der Hügelketten kommen wir erst kurz vor Schluss.
Als ich mir das Rad kurz abstelle und beruhigt auf die Regenfront schaue, die sich hinter uns aufbaut, sind die Körner weitgehend verschossen. Dieser letzte, schöne und zähe Anstieg macht den Kohl echt fett. Er führt mit der K18 über Mackenheim nach Ober–Abtsteinach. Eine makellose, mittelbreite Straße mit schönem weißen Zierrand auf der man sich in aller Ruhe quälen kann, bis nichts mehr geht.
In Weinheim teilen wir uns dann auf. Drei in den Zug nach Frankfurt, drei nach Mannheim und einer noch Extrameilen über Darmstadt nach Frankfurt. Hätte ich gewusst, wie viel Zeit ich am multinationalen Hauptbahnhof vertrödeln würde, wer weiß, dann hätten wir den Tag zusammen zuende gefahren.